Das Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt. Niemand kennt Hamburgs Straßen besser! Die tägliche Adresse für Nachrichten zu Sozialem, Obdachlosigkeit und Kultur in Hamburg. Thomas erzählt von seinem ganz persönlichen Blick auf Sankt Pauli und die Stadt.
»Ich sage immer, ich habe 5 Jahre lang studiert. Wenn Leute mich fragen, was hast du studiert, dann antworte ich, ich habe 5 Jahre das Straßenleben studiert.«
T: Hallo, mein Name ist Thomas, ich bin Hinz&Kunzt Verkäufer. Ich bin schon fast zehn Jahre auf Sankt Pauli. Ich habe früher auf der Straße gelebt, jetzt wohne ich in Eimsbüttel, aber mein Herz ist trotzdem auf Sankt Pauli. Sankt Pauli ist für mich fast wie Familie.
Als Hinz&Kunzt Verkäufer kennt man jede Bar, jedes Restaurant. Die Leute auf der Straße kennen mich alle, die helfen mir. Sankt Pauli ist der beste Stadtteil. Sankt Pauli hat ein gutes Herz. Nette Leute, man kennt das, wenn Fußball kommt oder kurz vor Weihnachten, die sind alle so freundlich und die helfen ganz viel den Obdachlosen und anderen Menschen auch. Nicht wie der HSV, so ein bisschen unfreundlich, Sankt Pauli hat ein richtiges Herz.
SPI: Und wie lange bist du jetzt schon hier?
T: Fast 10 Jahre. Früher habe ich fast fünf Jahre auf der Straße gelebt und fünf Jahre nicht auf der Straße. Aber trotzdem verkaufe ich die Zeitung auf Sankt Pauli. Das ist die Ecke, wo mein Herz ist. Jedes Restaurant, jede Bar, jeder Puff … das läuft, ne. Die meisten Hinz&Kunzt verkaufe ich auf Sankt Pauli.
SPI: Gibt es irgendwas, wo du sagen würdest, das sind so Merkmale, die Sankt Pauli zu Sankt Pauli machen? Besondere Dinge, die du hier mehr siehst als woanders?
T: Ja, die schönste Zeit ist Weihnachten. Da öffnet Sankt Pauli richtig sein Herz, die Zeit kannst du nie vergessen. Den Obdachlosen wird jederzeit geholfen, es gibt so viele Tafeln. Auf Sankt Pauli haben wir schon fast fünf Tafeln, glaube ich, fünf oder sechs Tafeln. In anderen Stadtteilen hast du nicht so viele Tafeln für Obdachlose und arme Leute.
SPI: Und wie kam es, dass du hier hingekommen bist? Also wo kommst du ursprünglich her, wenn du das erzählen willst?
T: Ja, ursprünglich komme ich aus Polen, aber ich bin ’97 nach Deutschland gekommen. Dann habe ich drei Jahre pausiert. Ich war starker Alkoholiker, deswegen habe ich meinen Job verloren und bin auf der Straße gelandet. Jetzt bin ich schon fünf Jahre, sechs fast, trocken. 2015 bin ich weg von der Straße und wurde trocken. Ich war erstmal zwei Jahre im Krankenhaus und dann war ich noch ein Jahr im Krankenhaus für Obdachlose in Sankt Pauli.
SPI: Und dann?
T: Dann habe ich mir ein Zimmer besorgt und finanziere mir das mit Hinz&Kunzt, ich habe keine Unterstützung von der Stadt.
SPI: Was ist Hinz&Kunzt für dich?
T: Hinz&Kunzt ist gut, um den Leuten zu helfen, die kein Geld haben und ein kleines Geld verdienen wollen zum Leben. Nehmen und geben, das funktioniert auf Sankt Pauli. Das vergessen die Leute von Pauli niemals. Das hat mir geholfen. Viele Restaurants in Pauli haben mir Essen gegeben und Trinken ohne Alkohol, weil die wissen, dass ich sechs Jahre trocken bin. Die geben mir, was ich will, zum trinken. Mein Herz ist in Pauli.
SPI: Hast du da eine besondere Erinnerung, die das auch nochmal zeigt, dass das Herz in Sankt Pauli ist? Oder ein eine besondere Geschichte?
T: Nach’m Fußball kannst du sehen, wie die Leute alle integrieren. Wenn Sankt Pauli gewonnen oder verloren hat, man feiert trotzdem. Das ist schön. Was noch? Ja, an Weihnachten hast du beim Millerntorstadion eine schöne Weihnachtsfeier für Arme und Obdachlose, das ist auch schön, etwas ganz besonderes, das kannst hast du nicht in anderen Stadtteilen.
Schwer zu sagen, es gibt so viele Geschichten. Welche ist die Beste? Und von welcher Zeit? Als ich auf der Straße gelebt habe oder seit ich bei Hinz&Kunzt bin? Es ist schwer zu sagen. Bei mir ist alles schön, ich bin zufrieden.
Früher war ich schon zufrieden, wenn ich eine Flasche Wodka gekriegt habe, jetzt bin ich anders. Es sind viele Leute so. Ich habe nie gebettelt, aber man kriegt trotzdem Wodka, wenn man starker Alkoholiker. Jetzt könnt ihr mir gerne Geld oder Essen geben, ich werde das nicht für etwas schlechtes benutzen.
Jetzt mit Corona habe ich ein EC-Gerät, da kannst du mit Karte zahlen. In den ersten zwei Monaten konnte man nirgendwo was kaufen, alle Restaurant waren zu und die Leute haben direkt auf mein Konto Geld gespendet. Ich habe nie auf das Konto geguckt, weil ich das nur dazu benutze, um mit Karte zu zahlen. Nach einer Zeit habe ich auf mein Konto geguckt und habe einen Schock bekommen: Die Leute haben so viel Geld gespendet, das hätte ich nie gedacht. Das sind die Pauli Leute. Die reichen Leute. Das hätte ich nie gedacht. Das war eine komische Situation für mich. Das habe ich das erste mal so gesehen. Das werde ich nie vergessen.
Das beste Restaurant an der Ecke ist Giovanni. Lecker Essen, sehr freundlich. Ich kann mich jederzeit setzen, wenn ich hungrig bin, und von der Karte etwas nehmen. Das sind Leute mit Herz. Viele helfen Obdachlosen. Das ist besonders für mich. Neil, Giovanni und Cuno, das sind für mich die wichtigsten. Die drei Stück sind meine Lieblingsrestaurants. Aber Giovanni ist der besonderste. Das ist der einzige, wo du nehmen kannst, was du willst. Essen, trinken … jederzeit kannst du dort essen und trinken. Ich habe dort viel Zeit verbracht und jetzt vertrauen die mir. Nach der schlechten Zeit kommt jetzt die gute Zeit. Trotzdem bin ich in jeder Bar zufrieden. Wenn ich reinkomme, fragen die Leute mich immer: »Wie geht’s dir?«
Es ist für mich wie Familie. Wenn ich Urlaub mache, dann sage ich früh Bescheid.
SPI: Hast du einen Lieblingsort in Sankt Pauli? Also nicht Bar, Café oder so, sondern einfach einen Ort?
T: Es gibt hier viele schöne Plätze zum sitzen, wir haben so viele schöne Ecken. Beim Fischmarkt da oben, der Palmenplatz.
SPI: Park Fiction?
T: Ja, da. Früher haben wir da im Sommer immer geschlafen und Flaschen gesammelt. Was ist noch schön … jetzt? Ja, Hamburger Berg. Da sind die Leute immer in einer geilen Stimmung. Was noch … Spielbudenplatz! Es gibt viele.
Ich habe zwei Welten. Einmal, als ich auf der Straße gelebt habe und nicht auf der Straße. Man kennt das normalerweise nicht, wie die Obdachlosen das machen und die normalen Leute. Die Zeit, die schlecht war, die kannst du nie vergessen.
Ich sage immer: »Ich habe studiert.«
Die Leute fragen: »Was hast du studiert?«
»Fünf Jahre Straßenleben, das habe ich studiert. Jetzt habe ich die Prüfung gemacht.«
So ist das. Ehrlich, das ist nicht so einfach. Du kommst auf die Straße und dann geht alles den Bach runter. Was machst du dann? Schwer war es, aber die Zeit ist vorbei. Wenn du auf der Straße landest, dann säufst du ohne Ende, zwei bis vier Flaschen Wodka pur am Tag, so wie ich am Ende, so in den letzten anderthalb Jahren auf der Straße. Vorher habe ich zwei Flaschen getrunken, aber das kannst du trainieren, dann kannst du saufen ohne Ende. Du trinkst Wasser, ich trinke Wodka. Das wird dann immer mehr und mehr und dann kommt man an den Punkt, wo man es nicht alleine rausschafft. Wenn das Karussell erstmal gestartet ist, dann kannst du das nicht mehr stoppen. Das ist nicht so einfach. Das ist eine Krankheit, eine schwere Krankheit. Alkohol ist genau so schlimm wie Drogen, nur Drogen sind teurer, Alkohol ist günstig.
SPI: War der Entzug dann sehr schwer für dich?
T: Du brauchst Abstand, da hilft nichts. Ich habe es zwei mal probiert. Beim zweiten habe ich es geschafft. Einmal habe ich es nicht geschafft. Ich war zwei Monate in Ochsenzoll, ein Monat in der geschlossenen und einen Monat offen. Dann hatte ich einen Rückfall. Nach zwei Monaten bin ich raus und nach zweieinhalb Wochen habe ich 2500 Euro in der S-Bahn zum Flughafen gefunden. Dann hatte ich einen Rückfall bis 2015. Ich hatte Geld. Ich habe, wo ich früher meine Platte hatte, bei den Landungsbrücken in der Tiefgarage – die beste Platte – sauber gemacht und habe habe jeden Tag zehn Euro gekriegt. Jeden Tag zehn Euro, was machst du damit? Um sieben Uhr zum Rewe und zwei Flaschen Wodka zum Anfangen kaufen – zum Start. Ich war Stammkunde. Sieben Uhr, zwei Flaschen Wodka. Bis wir dann zu betrunken Bier geklaut haben, 2014, zwei Flaschen. Dann hatte ich Pech … Hausverbot. Aber nicht so lange, nur bis 2015. Das war eine geile Platte. Jetzt haben die da was neues gebaut. Aber damals … zwei Flaschen saufen, zehn Euro jeden Tag, zum Start.
Beim Flughafen bekommst du noch mehr Geld. Aber da darfst du nicht zu betrunken sein, nur ganz wenig. Die Tageskarten kannst du abkaufen, oder besser noch die Gruppenkarten, davon kannst du dir direkt ’ne Flasche Wodka kaufen. Meine ersten 10.000 Euro habe ich gespart, weil ich trocken Tages- und Gruppenkarten beim Flughafen verkauft habe. In drei Monaten habe ich 10.000 Euro gespart für meine Zukunft. Das war mein erstes Geld. Dieses Geld war zum Retten, zum Überleben. Von den ersten 70 Euro habe ich mir, als ich aus dem Krankenhaus rauskam, eine Brille gekauft. Zwei Jahre hatte ich keine Brille, die wurde mir geklaut. Als ich bei den Landungsbrücken geschlafen habe, auf der Treppe, am Tag, hat mir die jemand von der Nase geklaut!
Nach dem Flughafen habe ich dann mit Hinz&Kunzt angefangen. Aber der Flughafen war auch eine geile Zeit. Ich habe drei oder vier Monate Geld gespart. Die Leute schmeißen immer die Tageskarten weg. Alle zehn Minuten ist ein Abflug, alle zehn Minuten kommt ein Zug. Viele Touristen und alle haben Tages- und Gruppenkarten, meistens Gruppenkarten und die kannst du abkaufen, ganz günstig. Die Flüge kommen an und du kannst die dann ein bisschen beraten, schön quatschen: »Du musst keine elf Euro bezahlen, bei mir musst du nur acht Euro bezahlen! Die hast du bis morgen früh!« Und für die Touristen ist das okay. Ist eine gute Idee, ’ne? Du kannst gute Tipps geben und sagen, dass die auch mit der Fähre damit fahren können. Das funktioniert sehr gut. Müssen drei Stück zum Hauptbahnhof, müssen die 9,30 Euro bezahlen und die Gruppenkarte verkaufe ich für 8 Euro, die ist bis morgen noch gültig. Hättet ihr das gewusst?
SPI: Nein.
T: Jetzt machen das aber viele mit der Tageskarte und Gruppenkarte. Das funktioniert. Seit 2016 war ich aber nicht mehr da. Früher haben das nur fünf Personen gemacht. Zwei Polen und drei Deutsche. Ne zwei Deutsche und eine Schwarze. Aber zügig und diszipliniert habe nur ich das gemacht. Ab 13 Uhr bis 20.30 Uhr, dann bin ich zurück ins Krankenhaus. 100 Euro, 120 Euro am Tag. Das ist viel Geld. Ich schätze 30 Tage, jeden Tag so viel Geld.
SPI: Wie war der Anfang oder allgemein deine Zeit mit Hinz&Kunzt?
T: Der Anfang? Wow, das war auch geil. Ein Kollege hat mich eingeladen: »Komm zu Hinz&Kunzt. Du kannst die verkaufen.« Das war 2013.
»Du kriegst zehn Zeitungen. Gib mir die zehn Zeitungen, ich gebe dir fünf Euro.«
Das habe ich so gemacht. Ich habe einen Ausweis bekommen, ihm die zehn Zeitungen gegeben, er gibt mir die fünf Euro – ich will saufen. Und nach dem Flughafen nicht mehr.
Dann habe ich beim Penny Heußweg verkauft, aber da gibt’s nicht so viel Geld. Bei dem Flughafen gab es so viel Geld. Dann habe ich Stück für Stück die Hinz&Kunzt bei den Restaurants verkauft. In den ersten drei oder vier Monaten habe habe ich die Leute immer gefragt: »Darf ich eine Runde machen?«
Später musste ich nur noch »Hallo« sagen, brauchte nicht mehr fragen, bin immer sehr freundlich und nett und dann kann ich da immer vorbei gehen jeden Tag. Ich komme jeden Tag zur gleichen Uhrzeit. Ich gehe jeden Abend in 40 Restaurants und Bars. Abend und Mittag, das ist schon viel. Manchmal läuft es schlecht, manchmal läuft es gut. Du weisst es vorher nicht, das ist wie Lotto. Du hast keine Ahnung, wie die Leute dich bezahlen, das ist immer eine Überraschung. Ich bettel’ nicht mit den Zeitungen so wie andere. Das läuft. Das ist ein Nehmen und Geben und die Leute sind zufrieden.
»Gib was!«
»Aber was?«
»Ein Lächeln!«
Das ist auch etwas, was du von Leuten bekommst. Das läuft. Sympathisch, nett und freundlich, das funktioniert bei mir.
Auch bei der Hinz&Kunzt siehst du Leute, die betteln. Ist ärgerlich in dieser Zeit. Früher gab es das nicht so viel, 2016, 2017, 2018, aber 2019 wurde es immer schlimmer. Jeder hat sein Revier und da muss man Disziplin haben. Ich komme immer zur gleichen Zeit in die gleichen Restaurants. Die Leute sitzen da und warten auf mich, meine Kunden, die wollen mich treffen. Die kennen mich sehr gut.
In der Zeit auf der Straße habe ich viele Erfahrungen gemacht. Wenn du in der Tiefgarage schläfst, kann es vorkommen, dass du aufwachst und neben deinem Kopf Essen und 100 Euro liegt. Manchmal gibt es so Überraschungen.
Einmal bin ich zu zwei Paaren gegangen und habe gefragt, ob die eine Hinz&Kunzt kaufen möchten. Der Mann meinte: »Verpiss dich, Penner!«
Und die Frau: »Entschuldigung mein Mann ist besoffen.«
Die eine Frau gibt mir einen Fuffi, die andere auch einen Fuffi.
»Schönen Tag noch!«
So ist das, ’ne? Du weisst nie, was passiert.
SPI: Willst du denn in Hamburg bleiben?
T: Ich weiß nicht, aber ich glaube ja. Ich habe jetzt eine Wohnung in einer WG, aber wenn ich meine eigene kleine Wohnung bekomme, dann bleibe ich. Hamburg ist die beste Stadt. Hamburg hat mich gerettet und mein Herz ist in Hamburg. Ich bin jetzt 20 Jahre in Deutschland und habe die Sprache ohne Schule gelernt, alleine.
Sankt Pauli hat mich gerettet. Es hat mir das Leben gerettet und geholfen von der Straße weg zu kommen. Ich werde das nie vergessen.
Früher hast hab ich gesoffen auf der Reeperbahn, aber wenn du Bock hast helfen dir die Leute. Du musst nur Bock haben. Sankt Pauli hilft dir ohne Ende, kein Problem.
SPI: Wie zum Beispiel?
T: Ja, du kannst jederzeit zu den Ärzten auf der Reeperbahn gehen und sagen: »Ich brauche Hilfe!« zum Beispiel. Auch wenn du sagst, dass du von der Straße weg willst, dann helfen die dir. Du hast immer eine Chance. Wenn du sie nimmst, dann wird dir geholfen, aber das ist deine Entscheidung. Du musst nur wollen. Die Ärzte helfen dir, das ist kein Problem.
SPI: Gab es für dich einen besonderen Moment, ein Ereignis oder eine Situation, wo du beschlossen hast, nicht mehr auf der Straße zu leben?
T: Das war 2015 am 13. Januar, ich hatte fünf Euro, das ist ein bisschen schwierig zum leben. Ich habe bis abends gebettelt und bin zum Hauptbahnhof gefahren. Dann kommt ein Mann und gibt dir zehn Euro. Da bin ich schon langsam ins Delirium gekommen. Ich habe eine Flasche Wodka gekauft, bin zur Platte gefahren und habe gesagt: »Das ist meine letzte. Ich fahre zum Ochsenzoll und versuche es nochmal.«
Dann war ich alleine. Ich bin nach Sankt Georg zum Arzt gegangen und die haben mir einen Zettel gegeben für Ochsenzoll. Ich habe Stunden gewartet, dann habe ich da geduscht, neue Klamotten bekommen und bin nach Ochsenzoll gegangen. Ich war zwei oder drei Tage in Ochsenzoll und dann bin ich umgekippt. Dann bin ich nach Heiberg gekommen, war eine Woche da, fünf Tage und dann haben die bei mir Tuberkulose entdeckt. Deswegen war ich zwei Jahre im Krankenhaus. Dann war ich fast ein Jahr in Großhansdorf. Von Ende Januar bis Ende August 2015. Dann war ich im Krankenhaus für Odbachlose. Da war ich zweieinhalb Monate, dann wurde mein Zustand schlechter und habe im UKE eine Transfusion bekommen, 1,5 Liter. Dann bin ich wieder nach Großhansdorf gekommen für fast drei Monate. In Großhansdorf hat der Doktor mir geholfen. Der hat mit mir gequatscht: »Das ist deine Entscheidung. Du kannst saufen, kein Problem, dann bist du in zwei Jahren tot, wenn du wieder einen Rückfall hast. Das ist deine Entscheidung. Was willst du?«
Es war alles Zufall für mich. Ich war da in Großhansdorf, einmal die Woche manchmal zwei mal, eine halbe Stunde oder Stunde ein bisschen quatschen, aber ohne Druck, einfach ein bisschen quatschen, wie mit einem Freund. Dann bin ich da raus und bin zum Flughafen ein bisschen Geld verdienen. So wie früher, als ich noch auf der Straße war. Dann war ich am überlegen, was ich alles verloren habe. Du musst das wollen. Es kommt alles zusammen. Du kämpfst zwei Jahre im Krankenhaus und musst nicht auf dem Boden schlafen, sondern auf einer schönen Matratze. Dann musst du überlegen. Du hast Geld, du kannst saufen oder normal leben … normal leben. Jetzt lebe ich gut. Früher, als ich mit der Hinz&Kunzt in die Bars und Restaurants gekommen bin, wurde ich immer gefragt: »Willst du einen Kurzen? Willst du einen Schluck?«
Ich sag’: »Nein, ich bin trocken.«
Viele Leute sind so: »Komm einen noch, einen Kurzen!«
Ne ne, das ist nicht mehr meine Richtung. Geraucht habe ich auch sowieso nie, Kaffee auch nicht, über 20 Jahre und das funktioniert.
Mein Kopf dreht sich. Ich habe keine Ahnung, wie dieser Mechanismus funktioniert, das kommt alles zusammen. Diese Zeit im Krankenhaus, da kannst du ein bisschen Geld verdienen. Bist du im Krankenhaus, hast du Geld. Dann habe ich ein Tablet gekauft. Dann siehst du, dass du ein bisschen leben kannst. Ich wollte was machen und auf der Straße geht das nicht. Wenn ich diese Leute sehe, meine Heimat-Leute, dann betteln die mich manchmal an: »Gib mir fünf Euro für eine Flasche Wodka. Gib mir!«
»Nein!«
Ich sehe manchmal Leute im Delirium. Ich kenne die Krankheit sehr gut. Das Delirium ist die schlimmste Zeit, da müssen die Leute 100 bis 200 Gramm sofort trinken oder es muss die Feuerwehr kommen. Manchmal hört das Herz auf zu schlagen. Du brauchst dem dann kein Geld geben, gib ihm einfach 200 Gramm Wodka. Diese kleinen kurzen, das ist 100 Gramm, die kosten einen Euro oder so. Gibst du ihm zwei Stück, dann geht’s im schon besser. Dann brauch’ man keine Feuerwehr, das kostet 300 Euro oder so. Wenn er in der letzten Zeit zu viel getrunken hat und am nächsten Tag nichts hat, dann ist das so. Ich kann das dann auch kaufen für die Leute, das ist kein Problem für mich, aber wenn die Leute mir sagen: »Gib mir! Gib mir!« und die haben noch was – niemals!
Ich kämpfe auch immer um’s Geld, aber wenn die Leute mir, in meiner Situation, 50 Cent geben, dann bin ich zufrieden … oder einen Euro, ist egal. Es gibt aber andere Leute, wenn du denen 50 Cent gibts, die sind nie zufrieden. Ich denke immer an die Masse. Ich denke nicht nur an heute, ich rechne in Tagen und Monaten und so kannst du das Geld respektieren. Du musst das anders sehen. Und das schmeckt besser. Wenn Leute mit Herz dir etwas geben, das schmeckt besser. Wenn du ganz viel »Bitte, bitte, bitte« sagst, dann schmeckt das nicht.
Ich habe viele Erfahrungen gemacht. Wenn auf Sankt Pauli die Obdachlosen was essen wollen, dann geben sie alle, das ist kein Problem. Du musst du nur Geduld haben. Geduld ist das beste.