Der Kandie Shop ist ein Café im Herzen Sankt Paulis. Er diente dem Viertel von Anfang an als Treffpunkt zum Austausch und zur Vernetzung. Heute ist er ein wichtiger Bestandteil der Viertelkultur mit seiner unverwechselbaren vielfältigen und kreativen Szene.
»Ich find’s auch okay, dass man verschiedene Leute anspricht (...). Es gibt nur leider die Tendenz in mancher Lokalität, die doch sehr bezogen ist auf Leute mit Kohle. Und dann wird es immer wieder schwierig, weil Geld halt ausgrenzt.«
Hi, also ich bin Kerstin vom Kandieshop. Den Kandieshop gibt es jetzt mittlerweile seit 2006. Damals habe ich den Kandieshop gegründet, weil ich gerne selber einen Laden haben wollte. Ich wollte den Laden auf jeden fall auf Sankt Pauli haben und eigentlich auch auf jeden Fall in der Wohlwillstraße.
Ich bin Hamburgerin und ich fand früher Hamburg eigentlich ziemlich scheiße. Ich bin Jahrgang 1975. In meinen ersten 20 Lebensjahren war Hamburg für mich immer ein bisschen öde, weil es gab immer nur die Popper und die Zecken und ich komme eher so aus einem Hintergrund aus meiner Familie und das war einfach … also die Linken kannte ich schon und die Popper fand ich uninteressant. Dementsprechend habe ich nach etwas anderem gesucht und das war irgendwie immer alles außerhalb von Hamburg und so war ich viel unterwegs. Meine Lieblingsstadt war New York, was man vielleicht auch an dem Laden erkennen kann. Früher wollte ich da gerne hin, aber es war dann doch zu weit weg und so bin ich dann wieder zurück nach Hamburg gekommen und habe den Laden hier gegründet und wollte vielleicht das, was mir hier fehlte und ich da gesehen habe, nach Hamburg bringen. Genau … und in in der Wohlwillstraße in Sankt Pauli fand’ ich halt über die Jahre, das war dann auch schon zehn Jahre später, hat sich sehr viel verändert, nicht durch die Hamburger, sondern durch die Leute, die hierher gezogen sind, die haben grade aus Sankt Pauli einen Ort geschaffen, der sehr viel Diversität möglich macht und eine entspannte Haltung an den Tag bringt, der geprägt ist von Ehrlichkeit oder Offenheit und Miteinander. Genau, da wollte ich gerne sein!
Als wir angefangen haben 2006, gab es in Sankt Pauli eigentlich nicht wirklich so viel. Ich wollte eigentlich der Ort sein, wo man schon morgens früh guten Kaffee trinken kann. Es gab hier zwar so ein paar Kioske und Bäcker, aber man hatte dann doch schon zu viel gesehen und wusste, man wollte schon gerne einen etwas besseren Kaffee trinken – also den kann man auch mal trinken, aber ihr wisst schon, was ich meine. Die Fahrradjungs von nebenan, die waren vorher hier, die sind umgezogen und meinten, der Laden wäre frei und ob ich nicht Lust hätte was zu machen.
Wir sind ja erst zwei Jahren so groß. Es gab ja damals wirklich nur den kleinen Vorderraum und da war klar, das kann kein normales Café werden, weil es hat keine Toilette, es hat ja gar nicht die Bedingungen und Vorraussetzungen, die es braucht. Damals gab es wirklich nur so einen ganz kleinen Tresen. Es gab immer Kaffeeausschank und so ein bisschen was zum Snacken, aber damals gab’s auch noch Platten, Freunde von mir haben Klamotten verkauft und es war irgendwie alles und nichts. Für viele Leute war es auch gar nicht erkennbar, was das ist. Viele Leute dachten, dass wäre ein Wohnzimmer, so privat. So ging es halt los.
Ich war damals kurz nach meinem Studium noch ganz entspannt. Ich hatte damals noch die Ich-AG gemacht, das war damals vom Staat eine Unterstützung, die man bekommen hat über drei Jahre. Da konntest du, wenn du Existenzgründer warst, dich ein bisschen finanzieren lassen. So war ich entspannt. Zwei, drei Jahre später habe ich Kinder bekommen, Zwillinge, und dann hat sich sozusagen der Fokus ein bisschen verändert und ich hatte nicht mehr die Zeit. Vorher hab’ ich hier den ganzen Tag abgehangen und das selber gemacht und dann wurde halt klar, jetzt muss das so ein bisschen fokussierter sein, also ich muss irgendwie mit weniger Zeit ein bisschen mehr Geld verdienen. Dann hatte ich geguckt, was es so gibt, womit man halt verdienen kann und hab’ gemerkt, Essen und Trinken ist das, was am meisten verkauft wurde und so haben wir uns immer mehr auf das konzentriert. Und so sind wir jetzt über die Jahre gekommen. Der Laden hat sich eigentlich immer wieder verändert, bis hin zur Vergrößerung. Hat oft einfach damit zutun, dass wir ja leider nur sechs Monate Sommer haben, wenn wir Glück haben, und dann sechs Monate Winter und so ein kleiner Raum macht es dann schwierig das Jahr über zu überleben.
Ich habe dann 2015 noch den Kandievan gemacht, das ist so ein Foodtruck, weil alle immer meinten: »Ja, dann musst du halt ’nen zweiten Laden machen, damit sich das lohnt!«
Und ich so: »Oh nee, wo denn?«
Auf Sankt Pauli kann ich ja nicht und ich weiß nicht wo sonst und außerdem wollte ich nicht wieder diese Verbindlichkeiten mit jeden Tag den Laden auf haben und hier und da und dann dachte ich: »Okay, machen wir das auf Rädern, dann kann man sich halt entscheiden.« War super, aber im Endeffekt echt krass, weil es einfach super anstrengend ist, weil man einfach nur so ein Wochenendgeschäft hat und mit Kindern … und grade die Sommersaison und die Hochsaison, das war alles ganz schön anstrengend. Der ist ja jetzt grade im Ruhestand, sag‘ ich mal, wegen Corona.
Sankt Pauli für mich bedeutet eigentlich Diversität und das zweite ist Ehrlichkeit. Also nichts vorzumachen, nichts sein zu wollen, was du nicht bist, sondern einfach Ehrlichkeit.
Wir hatten letztes Jahr Crowdfunding gemacht, Support your local Kandieshop, und zwar hatte das damit zu tun, dass ich an einem Punkt war, dass ich gemerkt hab, dass mir mit dem Laden und dem Van einfach alles über den Kopf gewachsen ist, dass das nicht geklappt hat, dass ich immer wieder an einen Punkt gekommen bin, wo ich gemerkt habe: »Boahr, das reicht nicht.«
Der Kandieshop ist eben nicht wie viele neue, moderne Cafés, die hier aufmachen, ein Laden, wo man jetzt sagen kann: »Wir nehmen so und so viel für den Kaffee. Wir nehmen so und so viel für den Kuchen.«
Wir haben jetzt mittlerweile preislich ganz gut angepasst, aber wenn man manche andere Läden sieht, die hier aufmachen, die preislich natürlich viel höher angesiedelt sind, ist der Kandieshop ein Laden, von dem ich sagen würde, der ist hauptsächlich für die Locals da und der hat auch einen sozialen Gedanken, nämlich einfach ein Ort zu sein, wo die Leute hinkommen.
Letztes Jahr war es einfach so, dass ich persönlich gemerkt habe: »Okay, ich kann nicht mehr!«
Ich hab’ mit den Leuten hier vor Ort gesprochen und hab’ gesagt: »Okay Leute, ich weiß nicht weiter. Vielleicht muss ich einfach zu machen.«
Und alle so: »Nein! Auf gar keinen Fall! Du darfst nich zu machen! Wir machen ein Crowdfunding!«
Was erstmal ganz komisch ist, weil es ein Crowdfunding war für – erstmal von außen – ein Café, wo andere sagen: »Ja, wenn sie es nicht hinbekommen hat, ist ja ihr Problem.«
Das ist bei Startnext so aufgezogen, dass es darum geht … um Community. Also wenn ihr wollt, dass kleine Geschäfte wie diese weiterhin überleben, müsst ihr sie anders unterstützen. Diese ganze Entstehung war für mich sehr wichtig, weil ich einfach an einem Tiefpunkt war, an dem ich dachte: »Ich habe schon Sachen, aber die rechnen sich finanziell nicht.« Und ich dann gesagt habe: »Ich kann das energetisch nicht mehr leisten.«
Ich habe aber gemerkt, was alles zurück gekommen ist. Wir hatten angefangen so Videos zu machen. Wir haben Leute interviewt und ich habe den gar nicht erzählt, worum es geht, die wussten gar nichts.
»Sag mal warum du in den Kandieshop kommst!«
Und im Endeffekt ist daraus entstanden, dass ganz viele Leute gesagt haben, das ist ihr Ort im Viertel, wo sie Leute treffen, wo sie reden, hier und da und der ist ihnen so wichtig und so viel Identität zum Stadtteil, dass ich gemerkt habe: »Okay, Kerstin, du hast schon was geschafft. Es ist eben nicht kommerziell, sondern eigentlich gemeinnützig, aber ich befinde mich halt genau dazwischen, also so gemeinnützig bin ich dann doch wieder nicht.«
Dieses Crowdfunding ist durch die Decke gegangen. Ich habe 22.000 Euro, hauptsächlich aus kleinen Beträgen. Die Sachen, die ihr da seht, die sind nicht wegen Corona, die sind noch vom Crowdfunding. Ich habe halt so ’nen Pulli, ’nen Schal, ein T-Shirt – alle möglichen Sachen, die die Leute dann kaufen konnten. Das war in der Morgenpost, wir waren in der Zeit, auch bei Startnext wurde das auf die oberste Seite geschoben. Das fanden sie halt einfach alle super interessant, weil das im Endeffekt – jetzt mit Corona nochmal mehr – dieses Thema von kleinen Läden, die es halt schwer haben, weil es am Ende doch eher so eine Liebhaberschaft ist, aber wenn man jetzt auf die Zahlen guckt, ist es nie so richtig … Also ich habe einfach angefangen und dadurch ist es halt gewachsen. Andere hätten wahrscheinlich schon nach ein, zwei, drei Jahren aufgehört, weil es sich nicht mehr lohnt – oder nach fünf oder so oder eben halt letztes Jahr. Und immer wenn ich gedacht habe, ich höre auf, kam immer noch etwas dazu und es wurde aber auch durch die Leute selber getragen.
Ich hatte aufgerufen beim Crowdfunding: Wir wollen gerne die Küche erneuern.
Wir wollten das auf eine noch professionellere Ebene heben, dass wir das wirklich durch Umsätze schaffen können. Das hat dann geklappt und wir haben auch grade losgelegt. Es hatte einen tollen Effekt. Also der Laden hat auch vorher gut funktioniert, aber er hat dann doch noch ein paar mehr Leute von außen gecatcht, es hat dann einfach sowas in Gang gesetzt … und dann kam Corona.
Ich muss ehrlich sagen, für mich persönlich ist Corona nicht schlecht, weil ich war grade bei meiner Schwester in Spanien, die ist auch selbstständig. Für mich hat Corona einfach nur bedeutet, dass man einmal kurz ’ne Auszeit macht, auch wenn die am Anfang natürlich total unerwartet war. Ich rede jetzt darüber, wie ich es jetzt sehe. Am Anfang war das schon alles ziemlich krass, weil man dachte: »Wow, was ist das denn?« Und keiner wusste wieso, weshalb, warum und man sich erstmal versucht hat zu sortieren und zu gucken, was passiert hier grade.
Wir haben uns damals entschlossen, den Laden erstmal zu zu machen Mitte März, weil wir sind ein Laden, in dem alle total eng zusammen sitzen. Die Bude ist nicht nur voll, weil sie voll sein muss, sondern weil die Leute hier einfach immer alle zusammensitzen. Es ist ja wie so ein Wohnzimmer, wo man sich an einen Tisch mit ran setzt, wo alle miteinander reden, auch wenn man sich grade das erste mal sieht.
Plötzlich von einem Laden, der so eine Persönlichkeit hat zu einem To Go Geschäft, wo du die Leute vertreiben musst, weil du sonst zahlen musst, wenn sie vor deinem Laden essen.
Dann hatten wir eine Pause und ich war in Spanien und konnte für mich selber einfach mal zur Ruhe kommen nach dem ganzen Stress. Ich hatte ja erst dieses ›Hör ich jetzt auf?‹, dann ›Wir machen ein Crowdfunding! Alles ist super, wir machen weiter!‹ bis ›Okay, jetzt ist Corona.‹
Das war so … einmal kurz so durchatmen. Ich glaube nach 15 Jahren war das das erste mal, dass ich am Stück … Und das ist was anderes, wenn du in den Urlaub fährst und der Laden ist offen und da passiert immer noch was, als ›Wow, keine Verantwortung für den Laden!‹
Mit meiner Schwester zusammen haben wir mal geguckt, wo sind wir bis jetzt hingekommen, wo wollen wir hin, was will man so machen, was nimmt man auch aus dieser Situation mit. Das hat mir gezwungenermaßen mal eine Pause gegeben und man hat sich entspannt, als man gemerkt hat, dass der uns jetzt nicht alle töten wird, dieser Virus. Man wusste am Anfang nicht genau, bringt der uns jetzt alle um? Man hat einfach gemerkt, es wird irgendwie einen Umgang geben müssen.
Dann fing es ja auch an Anfang Mai, dass man auch wieder draußen aufstellen konnte. Das war dann der Moment, wo ich dann auch wieder zurück gekommen bin. Ich bin einfach unten geblieben mit der Familie, weil das war einfach total schön da auf dem Land anstatt jetzt hier in der Stadt. Ich dachte immer so: »Ich will nicht mit meinen Kinder irgendwie eingeschlossen sein.« Und da hatten wir einfach andere Möglichkeiten und die Natur.
Genau … und dann ist man zurück gekommen und dann hat man der draußen aufgemacht und dann hatte das auf jeden Fall wieder mehr Kandieshop-Feeling. Wir machen das eigentlich so wie jetzt, dass wir die Leute eigentlich einzeln reinkommen lassen und draußen sitzen lassen. Mit der Tür offen können auch Leute drinnen sitzen. Der Herbst und Winter wird natürlich nochmal interessant. Ich sehe es noch nicht wirklich kommen, dass wir hier Leute wirklich drinnen sitzen lassen können mit Tür zu, ich seh’s noch nicht kommen.
Aber wir haben uns schon Sachen überlegt! Wir wollen jetzt einen Kulturverein gründen. Der ist kurz vor Gründung. Ich habe ja in dieser ganzen Zeit von Corona gedacht : »Ne, also Startnext Crowdfunding hast du ja schon gemacht.«
Weil immer alle meinten: »Warum machst du kein Crowdfunding?«
Ich so: »Ne, das haben wir ja grade gemacht. Außerdem bringt mir das in diesem Moment nichts, weil es geht jetzt nicht darum, wieder Geld zu sammeln. Auch mit Gutscheinen, dann hab ich euer Geld jetzt, aber es fehlt ja dann. Das ist ja dann das Problem, wir können nicht doppelt verdienen. Es ist ja nicht so, dass wenn wir wieder aufmachen, die Leute doppelt so viel Kaffee trinken, sondern sie werden nur diesen einen Kaffee trinken.«
Das hat alles nicht so funktioniert für mich, oder für uns. Deshalb haben wir jetzt diesen Plan mit dem Kulturverein. Der kam auch schon auf während des Crowdfundings, dass Leute meinten: »Macht doch einfach einen Kulturverein.«
Der Kandieshop kann einfach kein Kulturverein werden, weil der Fokus ist zu klar, man verkauft am Ende doch Essen und Trinken, aber wir werden neben dem Kandieshop jetzt einen Kulturverein gründen. Ich werde jetzt nicht alles total verraten, aber es geht schon darum, dass man den Kandieshop am Ende unterstützt. Also es gibt Aktionen, wir werden Aktionen machen. Ich bin auch gar nicht die Vorsitzende, sondern das haben Leute im engeren Umkreis hier gemacht, von Schriftstellern über andere Kulturschaffende oder einfach nur Leute, die hier herkommen, die alle Bock haben und wollen Teil davon werden. Wir werden uns was überlegen, was man machen kann. Dafür wird es dann sozusagen Beiträge geben, die man zahlen kann, von fünf Euro bis sieben irgendwie im Monat. So hoffen wir, dass Leute Bock haben das zu unterstützen. Man wird auch sagen, es geht auch schon zum einen, um dieses Programm zu unterstützen, aber auch wirklich den Kandieshop. Man hat sich jetzt wirklich überlegt: »Wie willst du das machen? Wie willst du kleinen Leuten … also kleine Cafés … «
Also ich will auch, dass andere vielleicht etwas davon abbekommen.
»Wie willst du denen helfen, dass die jetzt über diesen Winter kommen?«
Das ist das, was jetzt interessant wird: Wer überlebt den Winter? Auch wenn du Leute reinsetzen kannst, wird es ja nie das sein, was du vorher hattest. Es gibt ja halt auch diese Größen und man weiß auch wieder einfach nicht, was passiert. Gehen die Zahlen jetzt höher … wir wissen alle nicht, was passiert.
Wir probieren uns da grade aus. Ich bin selber grundsätzlich entspannt. Durch dieses Crowdfunding hatte ich ein bisschen so einen Vorsprung. Also ich weiß, ich habe so meine Base hinter mir und der Laden soll scheinbar sein, das hab ich jetzt nicht entschieden. Das war ja auch mehr oder weniger so ein Barometer, das man durch dieses Crowdfunding gesetzt hat. Alles andere wird sich dann von selber ergeben. Lustigerweise dachte ich, dass ihr auf mich zugekommen seid wegen des Crowdfundings, weil es sind ganz viele Leute zu mir gekommen, grade von der Uni und von überall, weil es doch ein Phänomen war, dass ein kommerzieller Laden ein Crowdfunding macht und das auch noch funktioniert. Guckt euch das ruhig nochmal an. Es hat nur funktioniert, weil es eben einen Nerv anspricht, der durch Corona nochmal wieder mehr bei den Leuten klar geworden ist.
Das Problem von kleinen Läden und überleben ist schon immer da gewesen. Leute, die das machen, leben immer am Rande der Existenz und machen das aus sehr viel Leidenschaft. Damit diese überleben, bedarf es nun doch einfach mehr und zu Coronazeiten, wo ja schon einige Läden, die ich kenne, nicht durchgehalten haben, grade Bars werden’s schwierig haben an erster Stelle, merken die Leute: »Wow, was wäre denn, wenn die alle weg sind?«
Also mir ist schon aufgefallen, dass diese Bezogenheit zu Geschäften, also diese Identität und zu merken, ich will nicht, dass am Ende nur die Großen bleiben, die ist bei den Leuten grade durch Corona nochmal mehr … also es hat sich sozusagen verstärkt. Jetzt habe ich so ein bisschen den Faden verloren, aber durch dieses Crowdfunding sind immer wieder Leute auf mich zugekommen, weil es im Endeffekt genau das so ein bisschen anspricht. »Support your local Kandieshop« kann auch heißen »Support your local Record Store«, also Plattenladen, alle diese kleinen hübschen Läden, die es sowieso schwer haben und durch Corona halt noch schwerer haben. Ich sag immer: »Man muss den Regierenden was vorschlagen, weil die haben nicht das Konzept parat.« Du kannst dich aber auch nicht beschweren, dass die das Konzept nicht parat haben. Es gibt ja jetzt auch das Barkombinat.
Wir wollen halt mit diesem Kulturverein erstmal einfach so einen Prototyp machen und wenn das klappt, dann wollen wir das auch ausweiten. Wenn man jetzt zum Beispiel zu Coronazeiten wieder nicht in bestimmte Läden kann, kann man diese Läden nutzen, um da was zu machen, auch ein gewisses Programm. Es gibt ja mittlerweile schon die verschiedensten Bars, Cafés, Restaurants … In erster Linie kenne ich ein paar Bars – Koralle hat das gemacht zum Beispiel zu Coronazeiten, dass die da Konzerte hatten oder ein DJ hat aufgelegt und dann konntest du da ein virtuelles Bier kaufen mit Pay … wie heißt das? PayPal! Sowas wollen wir halt auch machen, dass man einfach wirklich was bietet und die Leute können in dem Moment ‘nen Kandie-Bagel kaufen oder ’nen Kaffee oder Kandie-Bier oder was auch immer kaufen.
Jetzt muss man kreativ werden, mal wieder. Es geht immer wieder darum kreativ zu werden. Vielleicht kann man das auch in anderen Läden machen, dass man die unterstützt. Bevor man sich irgendwo vergräbt und denkt, das wird alles scheiße, muss man jetzt schnell wach werden und versuchen was zu machen.
Ich bin irgendwie optimistisch, weil ich einfach immer wieder merke, ich habe so ein gutes Netzwerk. Früher war ich immer die »Los, los, wir machen weiter« und letztes Jahr, als ich einfach wirklich gemerkt habe, ich kann nicht mehr, haben mich die anderen getragen. Das war total schön und jetzt bin ich einfach so: »Okay, wenn das nicht funktioniert, dann soll es einfach wirklich nicht sein.«
Um das jetzt wieder zurück zu bringen nach Sankt Pauli: Also Sankt Pauli hat sich natürlich die letzten 14 Jahre, wo man hier ist, sehr verändert. Ich selber bin noch jung genug oder bin auch ein Typ, der Veränderungen cool findet, ich sag’ jetzt nicht, dass das was Schlechtes ist. Das ist auf jeden Fall ein super Stadtteil und ich muss auch sagen, die meisten Geschäfte, ob Bars, Klamottenläden oder sonstiges, sind nach wie vor personengeführt und Leute, die echt Bock haben, was geiles zu machen. Ich find’s auch okay, dass man verschiedene Leute anspricht mit dem, was man tut, sonst wäre es ja auch einfach langweilig. Es gibt leider trotzdem ’ne Tendenz in mancher Lokalität, die doch sehr bezogen ist auf Leute mit Kohle. Dann wird es immer wieder schwierig, weil Geld halt ausgrenzt. Geld ist einfach ’ne Sache, die ausgrenzt und wenn du dich wirklich auch noch ganz oben ansetzt und gefühlt auch einfach nur in den Stadtteil reinkommst, um Geld zu machen, dann hat das einfach die Persönlichkeit Sankt Pauli komplett verfehlt. Ich muss ehrlich sagen, ich bin ein toleranter und offener Mensch, aber ich habe mir über die Jahre angewöhnt, Menschen nicht mehr tolerant gegenüber zu stehen, wenn ich merke, dass sie es nicht sind und dann muss man den Leuten auch einfach sagen: »Sorry, das ist richtig scheiße, was du machst!«
Leider hat man da auch nicht immer Bock, aber wir werden mit diesem Kulturverein auch schon eine Gegenkultur darstellen wollen. »Gegen« hört sich immer so anti-anti an, aber manchmal muss man das auch einfach sein. Es geht einfach darum, dass darzustellen oder ausdrücken zu wollen, was WIR – das ist natürlich aus subjektiv – denken, was Sankt Pauli ist, um einfach diesen Teil weiterhin zu verbreiten und dann werden die Leute entscheiden. Also am Ende sind ja auch die Leute, die kommen, sich für Sachen interessieren und am Ende leider auch Geld ausgeben, die dann am Ende entscheiden, wie dieser Stadtteil in der Zukunft aussieht.
Ich habe jetzt keine Sorge, aber man muss bei bestimmten Sachen einfach ein bisschen gegenarbeiten. Geld hat einfach eine größere Macht als alles andere und dann wird‘s nur noch langweilig, das will ja keiner. Dann wird’s öde – aber jetzt ist es noch nicht öde.