Noch bis heute wird unter der Konzertbühne der Grossen Freiheit 36 dem Nachwuchs der Musik ein Forum geboten. Diverse Konzerte kleinerer Künstler fanden und finden hier im Keller statt – mal laut und Gitarren-lastig, mal sanft und soulig!
»Hier haben so diverse Subkulturen ihre Partys, die vielleicht nicht in jeder Bar oder jedem Club sonst auf dem Kiez glücklich werden. Hier haben sie ihren Ort und das macht den Kaiserkeller aus.«
"Ich bin Alina, ich arbeite im Kaiserkeller in der Großen Freiheit 36 auf Sankt Pauli und bin die Party- und Konzertbookerin dieses Ladens. Ich habe 2013 bis 2016 meine Ausbildung hier gemacht. Dann habe ich noch kurz weitergearbeitet, war dann im Ausland reisen und habe einen anderen Job gehabt, bis ich im Februar 2018 wieder hier angefangen habe, in meinem Laden des Herzens das Booking zu übernehmen und seitdem kümmere ich mich um diese Location.
Der Kaiserkeller ist auf jeden Fall ein Laden mit Geschichte. Unter den Engländern ist er bekannter als unter den Deutschen. Wir haben hier auch regelmäßig Touristen, die an die Tür klopfen und fragen, ob sie sich den Laden angucken können oder ob jemand vom Haus ihnen ein bisschen was erzählen und zeigen kann. Das kommt zustande, da der Kaiserkeller bekannt dafür ist, dass die Beatles hier gespielt haben, das ist im Jahr 1960 gewesen. Kurz zur Vorgeschichte: Bruno Koschmider, ein ehemaliger Trapezkünstler, hatte im Jahr 1950 (jetzt schmeiß ich hier mit Zahlen um mich, die nachher vielleicht nicht stimmen könnten) das Indra, ein Stück weiter die Straße herunter, als kleinen Stripclub eröffnet und im Jahr 1959 den Kaiserkeller eröffnet, der wesentlich größer ist als das Indra. Die Beatles wurden nämlich von Bruno Koschmider ins Indra geholt, haben dort das erste Mal gespielt und wurden danach 1960 in den Kaiserkeller gebracht, um hier die Bude auseinander zu nehmen. Das kann man sich ein bisschen anders vorstellen, als es heute ist, wenn man große Bands sehen will, die einmal im Jahr auf Tour gehen, man kauft sich Karten und man freut sich. Die Beatles haben damals sieben Tage die Woche, sechs bis sieben Stunden am Stück, hier abends gespielt. Das Besondere ist, dass der Kaiserkeller der erste Laden in dieser Art in ganz Deutschland war, in dem Live-Musik in dem Ausmaß jede Nacht stattgefunden hat. Neben den Beatles waren hier unter anderem Rory Storm & the Hurricanes, also große Namen, die später eine große Bekanntheit erreicht haben, die hier eine damals noch sehr marode Bühne gerockt haben. Lustige Geschichte dazu: Die Beatles und Rory Storm & the Hurricanes haben damals gewettet, in der Zeit, in der sie hier regelmäßig gespielt haben, wer zuerst die Bühne zum Zusammenbrechen bekommt. Diese Bühnen waren damals aus Holzpaletten, die auf Bierkästen standen, die dann tatsächlich irgendwann zusammengebrochen ist in der Nacht, als diese Wette ihren Lauf genommen hat. Bruno Koschmider musste in dieser Nacht eine Jukebox anschmeißen, damit die Musik weiterläuft, weil die Live-Musik nicht mehr stattfinden konnte.
Was vorher hier war, weiß ich nicht so ganz genau. Was ich weiß, ist, dass der Kaiserkeller als solcher unter dem Namen schon lange existiert, anders als zum Beispiel der obere Saal der Großen Freiheit 36, der erst in den 80ern als solcher eröffnet wurde.
In den 70ern war das ein Autoscooter hier. Das Gestänge in der Mitte war glaub ich noch nicht da und dann sind hier tatsächlich Autoscooter herumgefahren. Zum Zeitpunkt der Beatles war es so, dass hier – nicht so wie man es heute kennt, natürlich waren damals noch keine DJs und so weiter jedes Wochenende hier – Live-Musik war. Es hatte eher so einen Kneipencharakter mit einer Bühne und es war hier alles sehr seemannskneipenmäßig dekoriert, mit Tauen und maritim. Später gab es nochmal eine Zeit, da war es hier sehr westernmäßig. Da standen hier Pferdewagen und sowas, hatte aber eher immer Kneipencharakter. Es ist ja eher so ein Ding heutzutage, dass man Clubfeeling und DJs hat und von Party zu Party anders dekoriert. Damals gab es hier die Deko und das war dann halt so. Das mit dem Autoscooter finde ich auf jeden Fall sehr interessant, kann ich mir heute auch so nicht mehr vorstellen.
Überbleibsel gibt es auch noch von der früheren Zeit. Wir haben eine Raucherlounge im Kaiserkeller, die relativ groß ist und wir auch „Beatles-Lounge“ nennen. Die wird bestimmt demnächst nach Corona mal renoviert, weil das echt überfällig ist. Leider erkennt man nicht mehr so gut, was da mal war, aber als es frisch gemacht wurde, konnte man wunderbar erkennen, dass sich unter dem Linoleum-Boden ganz viele originale Zeitungsartikel aus der damaligen Zeit, als die Beatles hier gespielt haben, befinden. Diese Lounge steht so ein bisschen im Zeichen der Zeit von damals.
Ich, als Person, als Bookerin des Ladens hier, identifiziere mich mit Sankt Pauli, weil ich Sankt Pauli so schön bunt finde, was ich sehr wichtig finde und deswegen finde ich es auch wunderbar, dass hier so viele Locations sind, die verschiedene Eventprogramme anbieten und verschiedenen Menschen ein Programm bieten. Der Kaiserkeller selbst hat es mir angetan, weil ich den Laden kennen gelernt habe als Location für diverse Subkulturen und Szenen – ob das Gothic ist oder Metal oder die Queer-Szene. Hier haben so diverse Subkulturen ihre Partys, die vielleicht nicht in jeder Bar oder jedem Club sonst auf dem Kiez glücklich werden. Hier haben sie ihren Ort, das finde ich macht den Kaiserkeller aus. Deswegen glaube ich auch, dass der Kaiserkeller zur damaligen Zeit als erster Konzertclub, als erster Club, der Live-Musik jeden Abend hatte, wirklich super war und heute immer noch mit einem Programm aus Live-Musik und Partys für verschiedene Szenen super auf den Kiez passt, der sehr bunt ist. Ich glaube auch, dass in Zukunft der Kaiserkeller immer seinen Ort auf Sankt Pauli haben wird, einmal durch den Kultstatus, aber auch weil er mit der Zeit geht und trotzdem immer ein Ort sein wird für Menschen, die bestimmte Musik feiern möchten und bestimmten Szenen angehören.
Ob ich noch eine lustige Anekdote zum Laden habe? Da fällt mir spontan nur eine Sache ein: Der gute Kalle. Kalle ist ein sehr lustiger Herr, der seit ich hier arbeite regelmäßig im Laden ist und ich weiß tatsächlich bist heute nicht wirklich, was er mit dem Laden zu tun hat und was er überhaupt macht. Kalle ist aber ein unglaublich lieber Mensch mit einem unglaublich lustigem Auftreten und Aussehen. Er hat einen Vokuhila, trägt eine große neonfarbende Bomberjacke und kennt jeden Menschen, der hier im Haus arbeitet. Ich nenne ihn immer liebevoll das Maskottchen des Hauses und ich weiß eigentlich nicht bis heute so richtig warum er immer hier ist, aber das ist so eine lustige Anekdote zu diesem Laden.
Zu Sankt Pauli: Ich habe ja eben schon gesagt, dass ich den Stadtteil wirklich dafür schätze, dass er so bunt und so vielfältig ist und ich das Gefühl habe, dass man hier sein kann, wie man ist und sich keine Gedanken machen muss, weil hier viele unterschiedliche Menschen herumlaufen, das ist genau richtig so und alle werden toleriert und akzeptiert, wie sie sind. Es gibt hier glaube ich sehr viele Menschen, die hier leben, die wahnsinnig sozial eingestellt sind. Ich habe das Gefühl, dass hier auf dem Kiez schon ein sehr positives Nachbarschaftsverhältnis herrscht, dass man sich gegenseitig hilft und durch dick und dünn geht. Aber natürlich muss man auch sagen, dass alles seine Kehrseiten hat und auch hier, sei es durch Touristen*innen oder Hamburger*innen, öfters auch nicht so schöne Sachen passieren. Kriminalität ist hier vorhanden, darüber müssen wir gar nicht reden. Ich glaube auch, nein ich weiß, dass die Reeperbahn ein großes Problem mit Sexismus hat. Dadurch, dass man einfach leider dann doch immer wieder, wenn man hier lang geht, vor allem Dingen als Frau, ohne den Männern jetzt auf den Schlips treten zu wollen, sich Gedanken machen muss, lieber einen großen Bogen drum herum zu machen, weil ja doch viele betrunkene Menschen hier herumlaufen, die sich nicht sonderlich toll verhalten. Das ist nicht so schön an Sankt Pauli, finde ich, ebenso wie der Dreck, den man hier tagsüber ganz wunderbar sieht und nachts eher ignoriert, wenn man hier feiern geht. Aber ja – alles hat seine Vor- und Nachteile würde ich mal sagen.
Wenn ich Sankt Pauli mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es auf jeden Fall „bunt“. „Bunt“ wäre vor „dreckig“ für mich das Wort, aber bunt ist es auf jeden Fall."