Der Gruenspan rockt seit über 50 Jahren. Gegründet wurde der Musikclub 1968 an der Großen Freiheit in Sankt Pauli und ist seitdem fester Bestandteil der Hamburger Kulturszene.
»Ihr seht’s ja, hier wohnen Leute und trotzdem sind hier zwei Musikclubs. Das geht natürlich nur dadurch, dass man miteinander hier ist. Wir nehmen Rücksicht und genauso nehmen wir von den Anwohnern eine gewisse Toleranz auch dafür wahr.«
Ich bin Petra. Ich leite das Grünspan, den Musikclub im Herzen Sankt Paulis. Ich komme nicht aus Hamburg. Ich komme eigentlich aus Schleswig Holstein und habe Stationen in Berlin und Lübeck gemacht. Ich habe Kulturwissenschaften studiert und war immer ein großer Fan der Gastronomie und bin nach dem Studium erstmal ins Büro – Öffentlichkeitsarbeit, politische Arbeit und so – gewechselt, hab' aber die Gastronomie sehr vermisst. Bin dann auch wieder zurück, zunächst in ein Museum in Lübeck und habe da den ehemaligen Geschäftsführer vom Grünspan kennengelernt und mit ihm zusammengearbeitet. Dann ist es irgendwann so gekommen, dass er gesagt hat: »Du musst jetzt mit mir nach Hamburg kommen, ich kann dich gut gebrauchen im Grünspan!« Und dann habe ich gedacht: »Ja, so ein Musikclub ist ja auch echt cool!« Und dann habe ich das gemacht. Er hat dann das Grünspan verlassen, also sich dazu entschieden mal etwas anderes zu machen, dann bin ich quasi nachgerückt und deswegen leite ich jetzt das Grünspan.
Die Geschichte des Grünspans … es ist schon immer hier an diesem Ort. Das Gebäude ist circa 120 Jahre alt und wurde gebaut als „Vergnügunsort“ – als Tanzsaal, Tanzlokal, damals noch mit Orchestergraben und Orchester. Zwischenzeitlich hatte es verschiedene Nutzungen, aber es war immer als Vergnügungsstätte geplant. Es war mal ein Kino, dann war es ein Hippodrom, also mit leicht bekleideten Frauen auf Pferden in einer Manege in der Mitte des Saals, unter dem jetzigen Tanzboden kann man im Fundament auch noch die Mauerreste sehen. Zu Zeiten des zweiten Weltkrieges war es eine Badeanstalt, aber nicht wie man sich das mit ’nem Schwimmbad vorstellt. Es gab so einzelne Badekabinen für die Leute aus dem Viertel, die zu der Zeit in ihren Wohnungen keine eigenen Badezimmer hatten, die konnten hierher gehen, um zu baden.
1968 wurde das eröffnet, was es heute immer noch ist, nämlich das Grünspan, benannt nach einem jüdischen Widerstandskämpfer. Die Idee kam von zwei Herren, einer davon war Karl Lehwald, ein kreativer Zahnarzt, der hier sehr aktiv war. Die haben sich überlegt, dass sie das Grünspan so schön machen wollen, wie das Innere eines Fotoapparats – nämlich schwarz. Deswegen ist das Grünspan schwarz gemalt an vielen Stellen, weil es dunkel sein sollte und es war dann die erste Diskothek mit Musik vom Band. Das war damals noch total unüblich. Es gab viele Live-Musik-Spielstätten, wo die Musiker immer aufgetreten sind und hier war es das erste Mal, dass so etwas wie ein DJ aufgelegt hat. Die Leute haben das total abgefeiert und es hat dann dazu geführt, dass in der Umgebung andere Clubs schließen mussten, der Star Club zum Beispiel, weil einfach alle das Grünspan besuchen wollten und es war etwas Neues und Innovatives und es war sehr angesagt zu der Zeit.
Spannend ist auch die Geschichte von dem Wandbild. Nöfer und Glasmacher, so heißen die beiden, die das Wandgemälde auf der anderen Seite an die Wand gebracht haben, wurden von Karl Lehwald gefragt, ob sie nicht Bock hätten die Fassade zu verschönern. Die haben auch kein Geld dafür bekommen, sondern haben einfach gedacht »Das ist ja super, dass wir uns da auf dieser 40 Meter langen Wand verewigen können.« So ist es dazu gekommen. Das finde ich als Geschichte ganz schön und da sieht man ja auch, dass die Leute sich kennen und dann macht der eine das mit dem und so ergeben sich bestimmte Dinge. So ist das hier auch sichtbar.
Das Grünspan hatte seine Höhen und Tiefen. Es war halt eine Diskothek mit Musik vom Band. Ihr könnt in Hamburg glaube ich jeden, der so um die 50, 60 ist fragen und jeder würde zu euch sagen »Ja, da habe ich meine Jugend verbracht! Ja, da waren immer wilde Partys! Da war ich immer!« Jeder Taxifahrer hat seine eigene Geschichten dazu. Und es ist weit über die Grenzen Hamburgs bekannt und eben auch bekannt für neue Formate. Das Experimentelle im Grünspan war auf jeden Fall immer Thema. Die ersten Lasershow, die ersten Lichtgeschichten wurden aus London übernommen und dann gab es das auch im Grünspan. Es gab viele Momente, wo die gedacht haben: »Das müssen wir im Grünspan auch machen!« Dafür steht das Grünspan eigentlich, dass es immer sehr fortschrittlich war.
Seit 2009 ist das Grünspan im Grunde genommen eine Live-Musik-Spielstätte. Also es war auch einmal eine Drogenhölle. Es gab Razzien, das ganze volle Programm. Alles, was man sich auf der Reeperbahn so vorstellt, hat es auch im Grünspan gegeben, aber jetzt, so die letzten elf Jahre, ist es eine solide Live-Musik-Spielstätte, was aber schön ist. Die Gründerzeitsäulen wurden freigelegt. 2009 wurde das Gebäude von innen noch einmal umgebaut oder beziehungsweise alte Elemente freigelegt, wie diese Säulen und das alte Geländer, was auch noch aus der Zeit stammt, und es wurde renoviert, um es der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.
Als die ihre ersten Lichtshows hier gemacht haben, war das alles verkleidet mit weißen oder schwarzen Wänden und auch die Säulen waren in Beton und alles war zu, damit man möglichst viele Projektionsflächen hatte. Wie es jetzt aussieht, sah es damals halt nicht aus.
Es war auch vor 2009 schon Live-Musik-Spielstätte. Es gab so legendäre Konzerte wie REM, die haben hier 1997 beim Rockpalast gespielt. Hier waren tolle Konzerte, die kann man jetzt nicht alle aufzählen, auch Bands, die jetzt ganz groß sind und in viel größeren Läden als das Grünspan spielen. Eine Geschichte ist vielleicht noch ganz schön, ich weiß nicht mehr in welchem Jahr, das war, aber das muss Seeed gewesen sein glaube ich. Die haben hier ein Geheimkonzert gegeben und der Andrang war so groß, dass die ganze Simon-von-Utrecht-Straße vollstand von Fans, die gerne hereinwollten. Es war aber komplett ausverkauft und es ging nicht und dann sind die raus und haben zwei Lieder auf der Wiese gespielt für die Fans, die nicht ins Grünspan passten. Solche Sachen sind natürlich toll.
Vorletztes Jahr haben Selig zu ihrem 20-Jährigen Jubiläum ihr Album gespielt. Das sind dann einfach schöne Sachen. Und das Schöne am Grünspan ist, finde ich, dass es so eine 950er-Kapazität hat. Dadurch, dass es nicht so groß ist, aber die Bühne sehr groß ist, ist man sehr nah am Künstler und es ist eine schöne Atmosphäre mit den Säulen und der hohen Decke. Das hat seinen ganz eigenen Charme.
2018 haben wir 50 Jahre Grünspan gefeiert. In dem Zusammenhang haben wir nochmal die Geschichte ein bisschen aufgearbeitet und eine kleine Ausstellung für einen Tag ins Grünspan gebaut und die Leute zum Tag der Offenen Tür eingeladen, weil wir etwas anderes machen wollten als noch ein Konzert. Zum 50. haben wir dann eine Tagesveranstaltung gemacht und haben ein paar alte Wegbegleiter hier noch interviewt, die auch viel zu erzählen hatten aus der Zeit.
Sankt Pauli ist auf jeden Fall der richtige Ort für das Grünspan. Das Grünspan auf einer grünen Wiese könnte ich mir jetzt auch nicht vorstellen. Es lebt schon sehr davon, dass es mitten in der Stadt ist, dass es so ins Viertel gehört, dass es schon immer hier war im Grunde und eine lang gewachsene Geschichte hat, genauso wie Sankt Pauli.
Auch wenn ich nicht aus Hamburg komme, macht sich schon schnell ein Gefühl breit von Zusammenhalt, ein bisschen familiär und so gehen die Leute, die im Grünspan arbeiten, miteinander um. Wir haben hier einen Tontechniker, der ist länger hier als ich – das ist auch leicht. Der ist seit 25 Jahren im Grünspan. Der kennt jeden Winkel, der weiß, was hier alles passiert ist. Ähnlich wie der Lichttechniker. Die sind beide schon etwas älter und die kennen das Grünspan wie ihre Westentasche. Die können sich auch nichts anderes vorstellen, als dass das Grünspan da ist, man hier Musik macht und man vernünftigen, guten Ton hat und eine gute Lichtshow macht.
Sankt Pauli ist die Heimat vom Grünspan. Na klar ist es auch national und international bekannt und es ist auch gut, sich als Musikclub sich über die Grenzen des Kiez mal ein bisschen umzuhören und umzuschauen, aber es ist schon sehr besonders, finde ich, Grünspan und Sankt Pauli. Auf jeden Fall gibt es eine Identifikation und eine Nähe, das würde ich schon sagen.
Ich glaube, dass das Grünspan sehr wandelbar ist. Es hat eine Offenheit, die es mit sich trägt. Man ist für Neues auch offen, das Team setzt sich aus Jüngeren und Älteren zusammen. Durch das Thema, was wir hier zeigen, die Art der Kultur, die hier gemacht wird, mit Live-Musik in einer kleineren Venue, erfindet man sich selber immer wieder neu. Dann gibt es auf einmal die Musikrichtung, dann ist das auf einmal angesagt und dann ist die Art zu performen angesagt. Wir verschließen uns da auch nicht irgendwelchen Stilrichtungen. Wir haben hier auch manchmal klassische Konzerte, wir haben hier ein Mitmach-Format, das heisst „Sing de lá Sing“, das diesen Mitsing- und Mitmachcharakter hat. Musik ist einfach wichtig und das es einfach friedlich und miteinander passiert, ohne Hass oder Feindschaft. Na klar, bei uns treten keine rechtsradikalen oder faschistischen Bands auf, das geht nicht, das wollen wir auch gar nicht, das hat bei uns einfach keinen Platz. Ansonsten ist alles, was Musik als Thema hat, bei uns immer willkommen. Wir machen auch viele Podcast-Geschichten, Lesungen, Poetry Slam – alles mögliche.
Wie verändert sich Sankt Pauli? Naja, auch vor Sankt Pauli macht eine gewisse Kapitalisierung auch nicht halt. Das Thema ist natürlich dieses „Miteinander“, was eigentlich in Sankt Pauli schon selbstverständlich war. Ihr seht’s ja, hier wohnen Leute und trotzdem sind hier zwei Musikclubs. Das geht natürlich nur dadurch, dass man miteinander hier ist. Wir achten natürlich darauf, dass nach 22 Uhr hier nicht mehr Halligalli ist auf dem Hof und wir nehmen Rücksicht und genauso nehmen wir von den Anwohnern eine gewisse Toleranz auch dafür wahr. Aber es gibt auch Bereiche auf dem Kiez, wo das anders ist, wo es Interessenskonflikte gibt, zwischen der Familie mit kleinen Kindern und der Partymeute, die vor dem Club steht. Damit haben alle Clubs hier zu tun, dass sich Leute beschweren, die selber hier vorher auch gerne gefeiert haben und sich darüber gefreut haben, dass sie hier wohnen, dass sie hier aus der Tür fallen und ein Bierchen trinken können. Dann verändert sich aber ihre Lebenssituation, dann haben sie zwei kleine Kinder und dann finden sie das auf einmal nicht mehr lustig, dass vor ihrer Tür noch gefeiert wird. Das ist so die eine Seite. Da denkt man so ein bisschen »Naja, ihr wisst doch, wo ihr hier hinzieht« und der Kiez ist halt, wie er ist. Da wünscht man sich so ein bisschen Toleranz auf der anderen Seite. Das, was ich vorhin schon so ein bisschen angedeutet habe. Es gibt hier ja diese Sankt Pauli Kreativnacht in der Nachbarschaft jenseits der Simon-von-Utrecht-Straße. Es ist so, dass es auf Sankt Pauli noch einmal so ein eigener Kiez ist. Die Reeperbahn und die Große Freiheit endet im Grunde genommen an der Simon-von-Utrecht-Straße, das ist wie so eine magische Grenze. Dahinter gibt es diesen Kiez hier, wo die Leute in der Paul-Clemens-Straße sich kennen, sich auf der Straße begrüßen und auch mal zusammensetzen und so. Alle Künstler und Kreativen kommen da einmal im Jahr zusammen und machen so eine Art Straßenfest und zeigen, was sie so können. Die Leute flanieren hier dann so durch und können die Ateliers, die Häuser, die Gärten, das Grünspan, das Indra besuchen und ein bisschen was von der Geschichte hören. Das macht in einer so großen Stadt wie Hamburg auch den Reiz von Sankt Pauli aus. Es gibt so einen Zusammenhalt, so eine eingeschworene Gemeinschaft.
Wenn man Sankt Pauli mit einem Wort beschreiben müsste, würden mir zwar drei Worte einfallen: Widerstand, Gemeinschaft und Zusammenhalt. „Widerstand“, weil man hier, das finde ich aber auch gut, mit Querdenkern zu tun hat, die sagen »So geht’s aber nicht!« Ich glaube, es ist nicht so einfach, wenn man hier etwas bauen möchte. Da muss man sich schon Mühe geben, alle mit ins Boot zu holen, ansonsten hat man hier auch schnell viele Leute, die sich hier zusammentun und sagen »Ne, so geht das nicht«, was ich aber durchaus sehr sympathisch finde. „Zusammenhalt“ und „Gemeinschaft“ einfach, weil es das ist, was ich immer höre. Die Leute leben gerne hier, die finden das schön und man hat auch das Gefühl, es sind auch Leute zusammen, die auf diese Art des Lebensgefühls viel Wert legen. Und hinter der Fischräucherei gibt es so eine Reihe von so kleinen ganz alten Häusern, kein Vergleich zu solchen vierstöckigen Gebäuden, da wohnen kleine Familien. Das findet man hier überall, so kleine Häuserreihen, wo eigentlich nur zwei Geschosse sind, mitten in der Stadt. Das ist auch etwas, was Sankt Pauli so ausmacht.