Seit 1946 wird in der Ältesten Tätowierstube in Deutschland tätowiert. Seitdem hat sich viel verändert, doch die grundlegende Ladenphilosophie ist gleich geblieben.
»Der hat immer Geschichten erzählt, wie das früher war (...): Wenn die Leute nicht bezahlen wollten, dann hat er die Tür abgeschlossen und sie vermöbelt, bis sie dann doch bezahlt haben.«
Ja hallo, ich bin Sebi, aus der ältesten Tätowierstube in Deutschland. Ich habe das Geschäft übernommen letztes Jahr im Sommer. Das ist etwas mehr als ein Jahr her, ich bin aber schon seit 20 Jahren hier tatsächlich tätig als Tätowierer. Und ich find’ das ‘ne große Ehre, dass ich das übernehmen durfte. Was natürlich jetzt ein bisschen ärgerlich ist, dass man übernimmt und dann um seine Existenz bangen muss, weil durch Corona durften wir eine ganze Zeit nicht arbeiten. Aber ich denke mal, wir kommen durch und die älteste Tätowierstube, die muss auf den Fall weiter existieren. Dieses Geschäft gibt es schon seit 1946 und ich glaube das war aber noch nicht in diesem Gebäude, sondern irgendwie so ein paar Häuser weiter in der Seilerstraße und seit Anfang der 1950er Jahre ist das in diesem wunderschönen Haus. Das Geschäft ist auf jeden Fall in den Räumlichkeiten von ehemaligen Kapitäns Wohnungen, also das wurde maritim bezogen früher, dieses Haus und die sind alle sehr, sehr reich verziert so, gerade das unterste Stockwerk, das erste Stockwerk und nach oben wird etwas weniger, aber wir legen Wert darauf, dass das so erhalten bleiben muss, weil das gibt es so heute nicht mehr.
Ich find’s wirklich wunderschön hier, ich arbeite gerne hier. Im Prinzip ist unsere Tätowierstube ja bekannt geworden durch Herbert Hoffmann, der das in den 60er Jahren „Älteste Tätowiestube Deutschlands“ genannt hat, zwar noch ohne Nachweise, aber er wusste, dass es irgendwie die älteste noch existierende ist und die Räumlichkeiten, in denen wir jetzt tätowieren, waren im Prinzip sein Wohnzimmer. Im Prinzip ganz vorne zwei Arbeitsplätze und dahinter war so ein bisschen Aufenthaltsbereich und hier war alles Büro. Und ich habe das dann so gemacht, dass wir das geöffnet haben hier, hier vier Arbeitsplätze drin und drüben, wo wir vorher tätowiert haben ist ein riesen schöner Aufenthaltsbereich gewesen. Und jetzt, durch Corona muss ich das wieder entzerren, da sind aus vier Plätzen jetzt zwei geworden, mit Trennwand und einer wieder im Aufenthalts Bereich, deswegen haben wir auch nicht regulär geöffnet, weil wir das nicht puffern können, wenn zu viele Leute reinkommen hier und dann die Abstände nicht einhalten. Aber es hat auch ‘was für sich, das ist relativ privates Arbeiten, das ist ganz gut, es laufen nicht andauernd Leute rein, also man kann dem auch durchaus positives abgewinnen. Insgesamt sind wir vier und einer der gerade ‘ne Ausbildung macht sozusagen. Der der Alt-Chef, Seniorchef sozusagen, der kommt vielleicht noch ein-, zweimal die Woche.
Im Eingangsbereich, da sieht man auch noch Fotos, von den drei alten Männern, die hier früher auch gearbeitet haben in einer von denen ist ein Holländer, der auch sehr viel unterwegs waren mit seinem Tattoo-Mobil und irgendwann dann auch hier hergefunden, und der hat immer die schönsten Geschichten erzählt, so wie das früher war mit dem tätowieren, wenn die Leute nicht zahlen wollten, dann hat er die Tür abgeschlossen und hat die Leute dann vermöbelt bis sie dann doch bezahlt haben. Das waren irgendwie raus Sitten. Ja, das ist dann heutzutage wohl nicht mehr so, das hat sich hier sehr schön etabliert, ich find’s einfach toll. Und ich finde, unser Geschäft muss auch auf jeden Fall auf Sankt Pauli sein, weil ich finde, gerade so ein Traditionsgeschäft, wie die Älteste Tätowierstube gehört einfach irgendwie auf Sankt Pauli. Das muss einfach so sein.
Das größte, was eigentlich eher ein Ärgernis ist, ist tatsächlich irgendwie, dass in letzter Zeit, oder in den letzten Jahren schon vermehrt Drogen gedealt werden, wir mehr Junkies haben, die auch unter anderem in unseren Eingängen hier herumhängen und man dagegen fast machtlos ist, also man kann die Polizei rufen, dann kommen die irgendwann vorbei und im Prinzip verschwinden die Leute, wie sie gekommen sind und sind nach 10 Minuten wieder da. Das ja ‘was, was wohl leider heutzutage auch irgendwie zu Sankt Pauli dazugehört, aber finde ich persönlich, ist ‘ne Sache, auf die man verzichten könnte.
Sankt Pauli an sich ist auf jeden Fall schon mal sehr, sehr geschichtsträchtig, sehr vielfältig, sehr bunt und sehr viel multikulti. Also es ist eigentlich für jeden ‘was dabei. Es ist weltoffen, das gefällt mir auf jeden Fall sehr gut. Und was ich auch finde, dass man, wenn man auch abends hier langlaufen möchte, man keine Angst haben muss, irgendwie überfallen zu werden. Also ich habe das Gefühl, dass man hier sich sicher aufgehoben fühlt, viele andere Leute, die irgendwie nicht so sehr damit was zu tun haben, die haben dann immer Angst »Ist es wirklich sicher?« Aber ich denke mir, das ist ein wirklich sehr sicherer Ort eigentlich. Also ich fühle mich hier nicht besonders bedroht, muss ich sagen.
Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass in nächster Zeit wieder ein bisschen Normalität einkehrt und die Clubs wieder öffnen dürfen, denn ich sehe da riesen große Probleme auf uns zukommen, wenn das so weitergeht, dann werden unheimlich viele, auch traditionsreiche Geschäfte den Bach runtergehen. Und das darf nicht passieren. Und ich bin für mehr Clubs und weniger Kioske, auf jeden Fall!