Das Café Miller ist ein kleines Eckcafé im Norden Sankt Paulis in Sichtweite des Millerntors. Die Ecke gehört zum gemütlichen Teil Sankt Paulis, aber die Reeperbahn ist auch nicht weit.
»(...) man hat hier alle möglichen Formen von Menschen, von dem harten, kantigen Typen, über die Transvestiten, über die fertigen Leute (...), über die verfluchten Touristen. Aber genau deswegen freue ich mich, (...) einer der verschiedensten Menschen zu sein und nicht schräg angeguckt zu werden.«
Moin Moin! Ich bin Steffen, ich betreibe seit über sieben Jahren das Café Miller bin hier gut seit einer Generation, also seit zehn Jahren, und vom Tellerwäscher zum Wirt geworden. Und ich seh’ quasi immer, wie lange ich schon hier bin, bei der Tochter einer Mitarbeiterin, die auch seit Anfang an dabei ist, oder seit meinem Anfang mit dabei ist, die damals als ich hier reingekommen bin, einen großen Babybauch hatte und das Kind wird immer größer und größer und ich bin immer noch hier. Die Geschichte des Orts die hat sich leider für mich immer erst nach und nach erschlossen. Also ich bin jetzt einer von fünf Inhabern und in der Zeit hat sich das Café Miller auch immer mal ein bisschen gewandelt. Ich hatte Glück, dass ich den Laden übernehmen konnte, weil mein Vorbesitzer, der eigentlich gut in den Stadtteil gepasst hat, dennoch leider nie mit dem Stadtteil so richtig warm geworden ist und ich im Gegensatz dazu, als ich nach Hamburg gekommen bin – also ich bin erst in Wilhelmsburg, dem kleineren Sankt Pauli, wie es früher genannt wurde gestrandet, dann nach Sankt Pauli gekommen und ich mich sofort hier verliebt hab’ als Norddeutscher. Ich konnte mir sofort vorstellen, dass ich diesen Laden haben will und hab dann irgendwann diese Chance bekommen und konnte dann tatsächlich vom Vorbesitzer nach und nach das abstottern und habe ‘n Großteil des Teams behalten können, habe dadurch, dass vorher schon viel Energie und Zeit reingesteckt habe auch immer den Namen und das grobe Konzept nie so komplett über Bord geworfen.
Also das Café Miller ist hier als keine Szenekneipe in den Anfängen der Neunziger entstanden. Hat sich dann recht schnell zum Stadtteilkneipe entwickelt, ist mit dem Verein FC Sankt Pauli groß geworden. Ich kam hier, denke ich manchmal, fast ins gemachte Nest, aber ich hoffe, dass ich in den letzten paar Jahren auch ein bisschen meinen eigenen Fußabdruck hinterlassen konnte. Zur Geschichte des Ortes möchte vielleicht eins sagen: Dass vor dem Café Miller auch schon eine Kneipe hier drin war. Von einer Kneipenwirtin, die diverse Läden hier im Viertel hatte. Damals ist das Ding hier noch „Feuchte Ecke“ als sollte ich mal mit dem Café Miller brechen als Konzept, dann wird’s definitiv wieder die „Feuchte Ecke“ und noch davor war es ein Fleischer. Wir haben hier jemanden in der Straße, der mir das auch mal erzählen konnte, dass in unserem jetzigen Gastraum mal die Wohnung des Fleischers war und hier unten – wir befinden uns gerade in der Küche – hingen mal die Rinderhälften während wir heute jetzt hier vegane Wurste, veganen Kuchen und alles rund ums Thema vegan herstellen und selber produzieren. Das vielleicht noch einmal als historischen Rundumschlag.
Ich habe ja eben gesagt, ich habe mich hier sehr schnell sehr wohl gefühlt und mein erster Gedanke dabei, also wenn man diese Frage gestellt bekommt, ist ja immer irgendwie »Wieso denn so ein Party Stadtteil?« Also mittlerweile wohne ich hier, habe mich immer mehr ‘rangerobbt an das Viertel, bis ich endlich eine Wohnung mit bezahlbaren Mieten bekommen konnte. Es ist einfach: Wenn ich hier auf die Straße gehe, dann fühle ich mich irgendwie unter normalen Leuten. Klar, wenn man sonst so durch den Stadtteil geht, man hat hier alle möglichen Formen von Menschen, ich sag mal von dem harten, kantigen Typen über die Transvestiten, über die fertigen Leute, die’s kaum nach Hause schaffen, über die verfluchten Touristen und, und, und. Aber genau deswegen freue ich mich hier lieber auf die Straße zu gehen und einer von den verschiedensten Menschen zu sein und ich nicht komisch und schräg angeguckt zu werden, als – ich will jetzt keinen Stadtteil nennen, aber in einem Stadtteil wo man sich eher in so ‘nem geleckten Viertel fühlt. Es ist genau das, aber um es besser zu fassen: Mir gefällt an Sankt Pauli die Heterogenität. Also wir haben hier vom Bildungsbürger, über den seit Generationen in Arbeiter Verhältnissen lebenden Menschen, über zugezogene, über Sinti und Roma, über den Studierten, den Lehrer – also alles mögliche. Wir haben auch Polizisten die hier teilweise noch wohnen oder hier zumindest seit Jahrzehnten Schicht machen und ‘rumrennen und auch ihre Geschichten zu erzählen haben, dieser Stadtteil ist sehr, sehr extrem. Auch in den Unterschieden. Also ich könnte nicht sagen, dass Sankt Pauli perse links ist. Also ich persönlich betrachte mich als Linker und ich freue mich auch, dass es hier natürlich hauptsächlich – zumindest in manchen Ecken mehr Sankt Pauli und mehr Anti-Rechts Aufkleber kleben, aber in diesem Stadtteil gibt es halt wirklich die gesamte, auch wir gerade die Zeit von Corona und eine Zeit lang habe ich immer gesagt: »Naja wir hier auf Sankt Pauli, wir nehmen das alle ganz ernst, wir achten darauf dass die Maskenpflicht durchgesetzt wird und, und, und … und total stolz drauf … und Sankt Pauli blablabla. Naja aber natürlich weiß ich auch, dass genaue ein paar Kneipen weiter auch gesagt wird: »Hier musste die Maske nicht tragen, wir sind auf Sankt Pauli.« Und das ist es aber auch … Also dieser Stadtteil, in dem wird immer wieder neu ausgehandelt, was Sankt Pauli ist. Und ich glaube auch, oder ich hoffe auch, dass – auch genauso wie beim Fußballverein, dass man das nie per se als gesetzt nimmt. »Wir sind links, wir sind ja so.« Sondern, dass es immer diskutiert wird, dass man sich selber in Frage stellt, dass es hier keine kollektive Identität gibt wonach wir dann immer gehen, sondern dass wir immer in Frage stellen – oder, dass der Stadtteil sich selber infrage stellt, nicht nur ich oder der Einzelne, sondern, dass der Stadtteil es schafft, sich immer wieder in Frage zu stellen, was ist man, was will man und das wird ausgehandelt.
Auch wenn es jetzt vielleicht ein abschweifen ist, aber zum Beispiel genau das ist der Grund, warum ich heute zum Beispiel ins Stadion von FC Sankt Pauli gehen kann. Ich bin geborener Rostocker sozusagen, ich bin früher ins Ostseestadion gegangen und ich wusste, nie wieder will ich so ‘ne kollektive Scheiße – also das war in den Neunzigern, viele Nazis da im Block. Ich hab’ gesehen wie alle gleichzeitig gejubelt haben und für mich war eigentlich Fußball tot. Und erst Sankt Pauli und der Verein hat es für mich geschafft mich wieder mit vielen, vielen unbekannten Menschen zu freuen, nicht weil ich weiß, dass die alle cool sind sondern, weil ich weiß, dass da ganz viele engagierte Menschen sind, die immer wieder die Regeln aushandeln, wo auch immer jemand aufsteht, wenn ein homophobes Wort gesprochen wird und Leute sich gerade machen und auch miteinander sprechen und es nicht einfach nur klein klein, jeder für sich machen. Ja, das ist der Grund warum ich mich tatsächlich, auch wenn ich sonst immer Probleme habe, mich mit Sachen zu identifizieren, es recht, wenn man Sachen ja teilweise gar nicht in der Hand hat, mich eigentlich schon mit dem Stadtteil Sankt Pauli identifizieren kann, warum ich überhaupt gesagt hab: Na gut, okay, jetzt stelle ich mich diesem Interview.
Also das Café Müller ist für mich ähnlich dem, wir entwickeln uns die ganze Zeit weiter. Ich habe vorhin kurz gesagt, dass wir zum Beispiel vegan anbieten, das haben die ersten Besitzer damals schon in den Neunzigern zwar angefangen, aber hörte dann mal wieder auf und fing mal wieder an, seitdem ich hier bin machen wir jedes Jahr etwas neu. Manchmal nervt das natürlich auch die Kollegen, wenn ich schon wieder mit ‘ner neuen Idee um die Ecke komme, oder jemand neues kommt ins Team und kommt mit ‘ner neuen Idee um die Ecke, so á la: »In dem anderen Laden haben wir’s so gemacht.« Aber tatsächlich versuchen wir uns – und in Corona ist das alles im Zeitraffer – immer wieder neu zu erfinden und uns auf neue Situationen einzustellen. Ja, auch neues Publikum zu erreichen natürlich. Und sich auch mal gegen Gäste durchzusetzen, ob das jetzt mit der Maskenpflicht ist, oder, kommen wir wieder zu den Fußball Situationen: Hier kommen viele Fußball Fans, auch die, die nichts mit Sankt Pauli zu tun haben und den sagen wir dann halt auch mal: »Pass auf, benimm dich so und so, oder du gehst.« Das ist auch nicht immer einfach. Und da ist es immer wieder schön zu sagen, wir nehmen die gleichen Regeln wie im Stadion zum Beispiel. Und das bedeutet halt auch, dass wir mal die eine oder andere schlechte Bewertung bekommen, dass wir auch Gäste immer wieder mal verlieren, auch Leute im Viertel natürlich, aber da machen wir halt unser eigenes Ding und hoffen dass wir die Mehrheit immer noch überzeugen können von unserem Angebot, von dem Ort, warum es hier gemütlich ist, und so weiter und so fort.
Ich vermute mal, andere werden es auch schon gesagt haben: Natürlich stören einen manchmal die Touristen, aber das stimmt gar nicht so, eigentlich ist das nicht, sondern: Letztens komme ich – also ich wohne in der Talstraße – letztes komme ich da raus, da ist eine Tür, wo man nicht so durchkommt, die ist nicht zum Abschließen, aber die fällt hat normalerweise ins Fach und ich krieg’ mit wie irgendwer, der vorher am Kiosk stand, zu seinen Kumpels rennt und ruft: »Ja, ich will nur mal kurz pinkeln!« Und dann in unserem Hinterhof rein will, wo natürlich tagsüber die Kinder spielen. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich natürlich hinterher, herausgezogen blablabla. Was sagt er, » Ja wieso, ist doch der Kiez. Das ist hier doch so.« Und das stört mich. Diese Fremdzuschreibung, die Menschen von außerhalb gerne Sankt Pauli zuschreiben. Es gibt Leute, die kommen hier her und die haben keinen Respekt. Also ich habe vorhin von diesen verschiedenen Menschen erzählt, die hier im Stadtteil sind, wo ich nicht auf jeden einzeln eingehen will, aber ich habe zumindest das Gefühl dass Sankt Paulianer – schreckliches Wort – aber Sankt Paulianer sich untereinander mit Respekt begegnen. Also es gibt hier bestimmt ganz viele Kneipenwirte, die ganz anders agieren als ich, das jetzt zum Beispiel und mit denen ich wahrscheinlich komplett unterschiedlicher Meinung bin, in vielen, vielen Sachen, aber ich glaube es gibt eine Art Grundrespekt und es gibt Menschen die kommen in diesen Stadtteil und die haben diesen Respekt nicht. Das stört mich und das kann man nicht immer abschalten, aber irgendwie gehört es wohl auch dazu, dass man sich dagegen immer mal wehren muss und dass man dagegen auch immer mal den Mund aufmachen muss.