Seit dem Jahr 2000 existiert das CaFée mit Herz im Gesundheitszentrum Sankt Pauli. Hier werden täglich bis zu 300 bedürftige Gäste kostenlos mit Speisen, Getränken und Kleidung versorgt. Ebenfalls angeboten werden Duschen und ärztliche Versorgung für die nicht krankenversicherten Gäste.
»Nicht alles ist gleich perfekt am Anfang, aber man muss irgendwo mal anfangen. Immer nur zu sagen ›Man müsste mal (...)‹ – das ist ja alles gut und schön, aber ich finde, man muss einfach mal machen.«
Wir sind das CaFée mit Herz, es gibt uns seit dem Jahr 2000. Wir sitzen hier im alten Hafenkrankenhaus, das ist ein altes Gebäudeensemble von 1914, steht unter Denkmalschutz, und hier wurde, als der Krankenhausbetrieb im Jahre 2000 aufgegeben wurde, das CaFée mit Herz gegründet. Das CaFée mit Herz heißt so, weil es tatsächlich am Anfang ein Café war, also ganz klein hier auf diesem Gelände angefangen hat und dann über die Jahre und Jahrzehnte zu dem gewachsen ist, was es heute ist.
Was sind wir heute? Wir sind eine Tageseinrichtung für Obdachlose. Das heißt: Bei uns gibt es Frühstück, Mittagessen, Duschen, Kleiderkammer, kulturelle Angebote, wie Bücherecken, Chor, eine Trommelgruppe, ärztliche Versorgung, einmal die Woche, zwei Mal die Woche, zahnärztliche Versorgung und – das ist ganz wichtig – die Dienste eines Sozialarbeiters können in Anspruch genommen werden. Wir möchten nicht nur den klassischen Versorgungsauftrag erfüllen, sondern auch sehen, ob wir nicht hier und da die Gäste gezielt ansprechen können, um mit ihnen gemeinsam Wege aus der Obdachlosigkeit heraus zu finden, um zu eruieren, was kann man machen, damit sich diese Lebenssituation ändert und nicht zu einer Endlosschleife wird. Das machen wir hier seit 20 Jahren.
Wir sind ein privater gemeinnütziger Verein. Wir kriegen keine staatlichen Gelder, wir haben keine Dachorganisation, wie AWO Diakonie, Caritas oder ähnlich. Das heißt, der ganze Betrieb hier wird aus Spendengeldern finanziert. Unsere Unterstützer sind einzelne Bürger, Firmen, Vereine, Stiftungen und ich muss fairerweise sagen, da unterstützt uns die Stadt Hamburg als Ganzes. Also nicht der Staat, sondern die Stadt Hamburg, die Bürgerinnen und Bürger, ganz toll, denn ohne die würde das nicht gehen, genauso wenig wie ohne die ehrenamtlichen Helfer, die wir bei uns haben. Wir haben ungefähr 30 ehrenamtliche Helfer. Davon ungefähr zehn bis zwölf aus dem Kreis der Obdachlosen beziehungsweise ehemals Obdachlosen, die täglich hierherkommen, sich im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Arbeit einbringen und so auch eine Tagesaufgabe haben. Wir können sie ein bisschen weiterhin betreuen, das passt also ganz gut. Viele ehrenamtliche bei uns sind Leute, die gerade in den Ruhestand gegangen sind. Frührentner, die zum Beispiel die Duschen betreuen, die die Kleiderkammer betreuen und ohne die würde das gar nicht gehen. Das Ehrenamt kann man gar nicht hoch genug ansetzen hier. Auch unser Vorstand, als gemeinnütziger Verein haben wir ja einen Vorstand, ist ehrenamtlich tätig. Hauptamtlich haben wir in dem ganzen Betrieb eigentlich nur fünf Leute. Das sind zwei Köche, ein Sozialarbeiter, eine Büroassistentin und meine Wenigkeit als Geschäftsführer. Mit der Konstellation schmeißen wir eigentlich den Laden, aber ich möchte wirklich sagen, das Ehrenamt hier ist ganz, ganz wichtig, ohne die ehrenamtlichen würde das überhaupt nicht gehen. Zumal wir hier ja auch auf einem Ort sind auf Sankt Pauli, der ja auch irgendwo für Solidarität steht, für das Miteinander. Im Sinne von: Der Starke für den Schwachen! Das zeichnet Sankt Pauli ja auch ein bisschen aus finde ich.
Gerade hier im alten Hafenkrankenhaus … ein Krankenhaus ist ja eigentlich ein Ort der Hilfe und der Unterstützung. Deswegen ist das für uns auch idealer Ort hier. Die Location an sich hat sich so entwickelt, dass viele Betriebe des Gesundheits- und Sozialwesens hier untergebracht sind. Hier sind Psychotherapeuten, Heilpraktiker, hier sind Integrationseinrichtungen – da könnte man noch ganz lange separat über die Geschichte des Hafenkrankenhauses erzählen, auch wie es heute ist, das würde aber wahrscheinlich den Rahmen dieses Gespräches ein wenig sprengen. Wir möchten in dieser Location auf jeden Fall bleiben, weil wir hier seit 20 Jahren etabliert sind. Wir hoffen, dass wir hier auch in Zukunft bleiben können, denn das CaFée mit Herz passt hier wunderbar rein. Wir haben die direkte Nähe zum Kiez, zu unseren Gästen, wir haben ein Gebäude hier, das wunderbar zu unserer Aufgabe passt und deswegen werden wir auch in Zukunft hier weiter machen. Es ist toll, dass wir es 20 Jahre machen konnten, als rein spendenfinanzierter Verein. Das ist ja auch nicht selbstverständlich so lange zu überleben.
Auf der anderen Seite ist es traurig, dass eine Einrichtung, wie das CaFée mit Herz 20 Jahre geben muss. Da sind doch einige Aspekte zu beleuchten. Wie kann man zusehen, dass die Obdachlosigkeit reduziert wird? Man wird sie wahrscheinlich nie ganz wegkriegen, aber wir müssen uns vor Augen halten, wir haben in Hamburg zurzeit nach mehr oder weniger offiziellen Schätzungen ungefähr 2000 Obdachlose. Wir gehen irgendwo von 2500 aus, weil es eine nicht unerhebliche Dunkelziffer gibt, insbesondere bei Frauen. Gut 50%, mit steigender Tendenz, der Obdachlosen, die in Hamburg sind, kommen aus Osteuropa, aus Bulgarien, Rumänien, aber schwerpunktmäßig Polen. Das ist so ein kleiner Nebeneffekt der Freizügigkeit in der EU. Wir freuen uns alle über Reisefreiheit, Kapitalfreiheit, Niederlassungsfreiheit, das ist auch gut und schön, aber das setzt auch eine kleine Völkerwanderung in Gange. In dem Sinne, dass Leute mit völlig falschen Vorstellungen vom vermeintlich goldenen Westen hier her kommen, dann fürchterlich auf die Nase fallen oder sie werden mit falschen Versprechungen, Jobs, Wohnungen etc. hierher gelockt und stehen dann vor dem nichts, weil sich das alles als Luftblase erwiesen hat. Das kann man alles politisch diskutieren. Da gibt es sicherlich Pro und Kontra, ob das gut ist, nicht gut ist, ob das sein muss oder nicht sein muss. Das ist uns aber relativ egal, weil die Leute jetzt hier sind. Die haben jetzt Hunger, die brauchen jetzt Kleidung, die brauchen jetzt eine Dusche!
Was man daraus macht, ist irgendwo eine Sache der Politik, aber wir müssen das auffangen. Deswegen ist für uns immer wichtig zu sagen, wir fragen nicht, wo die Leute herkommen, warum sie hier sind, die sind jetzt hier, die haben jetzt Hunger, Punkt. Das ist das einzige, was zählt. Das andere ist eine Parallelgeschichte, die auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ablaufen muss. Da werden wir uns in Zukunft wahrscheinlich auch mehr engagieren, fällt uns aber so ein bisschen schwer, weil wir eigentlich von der Grundkonzeption her eine sehr unpolitische Einrichtung sind. Wir sind auch an keine Religion gebunden, sondern wir wollen einfach Menschen helfen, die in Not sind. Wir wollen Hilfe zur Selbsthilfe, Leben vorleben und in dem Zusammengang möchte ich auch einmal unser neues Wohnungsprojekt gerne erwähnen, das wir jetzt grade ins Leben gerufen haben. Wir als CaFée mit Herz werden sechs Wohnungen anmieten, die als Übergangswohnungen gedacht sind für Obdachlose Menschen, die aus der Obdachlosigkeit heraus wollen, die mit uns gemeinsam den Weg gehen wollen aus der Obdachlosigkeit heraus. Das heißt, dass wir ihnen Übergangswohnungen anbieten, für 12 bis maximal 18 Monate. In der Zeit werden wir die Papierlage in Ordnung bringen, weil viele Leute haben noch nicht einmal mehr einen Personalausweis, damit fängt das ja häufig an. Dann Arbeitslosengeld II beantragen, einen Job besorgen, irgendwo egal welchen, gegebenenfalls die Qualifikation „aufpolieren“. Wenn die Papiere in Ordnung sind und sie einen Job haben, suchen wir dann gemeinsam mit ihnen eine Wohnung. Da haben wir auch viele Kontakte, da ist uns bestimmt auch hier und da was möglich. Wenn die eigene Wohnung gefunden ist, gehen sie aus unserer Übergangswohnung heraus und der nächste Gast kommt. Das ist die Grundidee.
Das ist für uns ein neues Projekt, ich denke mal wir werden noch viel erleben und lernen auf dem Weg. Nicht alles ist gleich perfekt am Anfang, aber man muss irgendwo mal anfangen. Immer nur zu sagen „Man müsste mal … man sollte mal … und warum ist das nicht so? Und warum wird das nicht so gemacht?“ – das ist ja alles gut und schön, aber ich finde man muss einfach mal machen. Alles andere ergibt sich dann ja häufig, das haben wir alle selbst im Leben mal erlebt. Wenn irgendwo eine neue Situation ist, die man nicht kennt, einfach erstmal machen und der Rest findet sich – habe ich zumindest in meinem Leben gute Erfahrungen mit gemacht.
Das ist also unser großes Projekt zurzeit, in das wir sehr, sehr viel Hoffnung stecken, weil wir ein CaFée mit Herz(!) sind. Wir möchten Hilfe zur Selbsthilfe leben. Das ergibt sich so ein bisschen aus unserem Namen. „CaFée“ – die Schreibweise ist ja ein bisschen merkwürdig, mit dem C, dem großen F, dem Apostroph über dem ersten E. Das ist so ein Wortspiel aus Café und der guten Fee. Das heißt, wir möchten schon Menschen helfen ihren Weg wieder zu finden, haben als Café angefangen, haben uns zu dem entwickelt, was wir heute sind und das ist natürlich eine Entwicklung, die weiter geht. Unser Wohnprojekt ist da ein typisches Beispiel und ich bin mal gespannt, wie die Aktivität im CaFée mit Herz in fünf Jahren aussieht. Wir werden sicherlich nicht stehen bleiben, aus diesem Wohnprojekt werden sicherlich wieder neue Ideen wachsen. Häufig haben Projekte dieser Art ja eine gewisse Eigendynamik, sobald der Ball erstmal rollt passiert da noch mehr. Da fühlen wir uns hier aber sehr gut aufgehoben, weil Sankt Pauli ein toller Stadtteil für so ein Projekt ist. Wir kriegen sehr viel Unterstützung vom Bezirksamt, auch von den Kontaktbeamten der Davidwache hier. Den möchte ich an dieser Stelle mal ein großes Lob ausstellen. Das sind zwar de facto Polizisten, aber in meinen Augen sind das Sozialarbeiter in Uniform. Die machen einen ganz tollen Job, mit denen arbeiten wir sehr gut und sehr eng zusammen.
Die Struktur in Sankt Pauli ist ja sowieso so bunt, dass hier eigentlich Platz für jeden ist. Hier läuft der Schlipsträger rum, genauso wie der Obdachlose, der an der Ecke steht. Das ganze Spektrum wird hier abgedeckt und das gefällt mir persönlich an Sankt Pauli, das zeichnet diesen Stadtteil irgendwo aus. Hier ist jeder einfach da, hier ist jeder willkommen und hier werden keine Fragen gestellt. Und wenn mal einer aus dem Rahmen fällt, dann wird’s ihm auch gesagt von den anderen, aber immer in einer Art, die man annehmen kann. Ich bin hier selbst auch neu, ich bin zwar aus Hamburg, aber bin in dieser Position hier erst seit elf Monaten, bin also beruflicher Neu-Sankt Paulianer, aber bin super angenommen worden. Ich hab’ am Anfang auch Fragen gehabt, aus meiner Sicht blöde Fragen, aber man hat mir nie das Gefühl gegeben, es ist eine blöde Frage. Und wenn ich mal etwas nicht richtig gemacht habe, dann ist mir das auch gesagt worden – hart, aber herzlich, so wie sich das gehört, aber immer in einer Art, in der es mal eckig zuging, aber trotzdem immer eine gewisse Grundehrlichkeit da war. Das schätze ich wirklich an diesem Stadtteil. Egal wie rau der Ton ist, da ist immer eine gewisse Grundehrlichkeit und Grundherzlichkeit drin und das zeichnet diesen Stadtteil vielleicht aus.
Ich hoffe Sankt Pauli als Stadtteil bleibt so und nimmt nicht die gleiche Entwicklung vielleicht wie das Schanzenviertel, wo wir ja doch eine gewisse Gentrifizierung erleben müssen seit einiger Zeit, weil es irgendwo schick und hip ist in einem Stadtteil wie im Schanzenviertel zu wohnen oder ähnlich wie in Sankt Georg, da ist ja das gleiche schon vor Jahren passiert. Ich hoffe das bleibt Sankt Pauli so ein bisschen erspart, das muss die Zukunft zeigen. Sankt Pauli ist ein super toller, ein bunter, ein toleranter Stadtteil, in den das CaFée mit Herz absolut gehört und in dem ich mich auch als beruflicher Neueinsteiger in diesem Bereich sehr wohl fühle und auch gerne hier bleiben werde.
Da gab es tatsächlich eine Situation, die mich zuerst sehr verunsichert, dann sehr berührt hat und wenn ich ehrlich bin, heute noch berührt. Ich habe am 01.09.2019 hier angefangen und nach gut zwei Wochen stand außerhalb unserer Öffnungszeiten jemand bei mir in der Bürotür. Ich weiß gar nicht, wie der hier herein gekommen ist. Ein Obdachloser, das rechte Bein amputiert, auf Krücken, völlig heruntergekommen. Auch im Gesicht sah er richtig ausgemergelt aus, rau, eingefallen. Keine Ahnung, wie alt der Mann war – Mitte 40, Mitte 50 – der war nicht zu schätzen. Er sah einfach nur alt und kaputt aus. Er hatte sich vollgemacht aus allen Öffnungen, die der menschliche Körper hat und das nicht erst seit zehn Minuten. Meine Nase hat sich automatisch zugemacht. Er sagte, er würde gerne mal duschen und sich neu einkleiden, und ich war in dem Moment, da bin ich ganz ehrlich, völlig überfordert und vor mir lief ein geistiger Film ab: Ruf ich jetzt die 112? Was mache jetzt? Lauf ich schreiend raus? Also ganz ehrlich, ich war damals trotz meiner 58 Jahre überfordert in dieser Situation. Ich hatte ja eben erwähnt, dass wir hier auch Mitstreiter haben, ehrenamtliche Helfer haben, die aus der Obdachlosenszene kommen. Das kriegte einer von denen mit und sagte nur ganz ruhig: „Lass mal, ich mach’ das.“ Er nahm ihn dann mit, hat ihn in der Dusche ausgezogen, die Klamotten gleich in einen Müllsack getan, hat ihn abgeduscht und neu eingekleidet. Das war etwas, das berührt mich heute noch und da krieg ich heute noch einen Kloß im Hals. Einmal diese Situation an sich, dass ein Mensch soweit herunterkommen kann, verfallen kann – mir fällt kein besseres Wort ein. Und dass es dann jemanden gab, der selbst obdachlos war, der gar nicht lange geredet hat, der hat vielleicht auch schon einen anderen Erlebnishorizont als ich, als Neuling, der einfach gesagt hat „Komm mit, ich mach das.“ Das war für ihn gar kein Ding. Das war aber ja ein Mensch, der eigentlich selbst Not leidet als Obdachloser, selbst so viel Herz hat in dieser Situation mich da „zu retten“ und dieses Thema, diesen Fall, zu übernehmen. Das hat mich unheimlich berührt. Ich habe diesen Mann nie wieder gesehen, ich weiß nicht, was aus dem geworden ist, aber es hat mich wirklich erschüttert, wie tief ein menschliches Wesen, hier in diesem Land, sinken kann, körperlich verfallen, verkommen kann. Was ich ab und zu habe hier, ist ein Gedanke im Bezug auf die individuelle persönliche Freiheit, das ist in Deutschland zu Recht ein sehr hohes Gut. Das gilt es zu schützen, gerade auf Grund unserer jüngsten geschichtlichen Vergangenheit kann man das gar nicht hoch genug bewerten. Das ist ganz, ganz wichtig, aber ich bin trotzdem manchmal in Gedankengängen, in Situationen, die ich erlebe, wo ich sage, dieser Mensch, diese Person, dieser Mann, darf gar nicht mehr frei herumlaufen im Sinne von „unbetreut“ – natürlich nicht eingesperrt. Den muss man an die Hand nehmen und mehr oder weniger mit Druck oder mit einem gewissem Zwang erstmal ins Krankenhaus bringen, dass der gesundheitlich wieder nach vorne gebracht wird, dass der hygienisch nach vorne gebracht wird, dass der körperlich und seelisch wieder aufgebaut wird. Das sind Leute, da ist in meinen Augen im juristischen Sinne „Geschäftsfähigkeit“ nicht mehr gegeben. Das sind Leute, die leben nur noch von einem Tag zum nächsten. Das ist eine Art „Dahinvegetieren“, die reagieren nur noch auf Grundinstinkte und dass man da sagen kann, in so einer Situation … nennen wir es mal „liebevollen Zwang“. Das ist ein Gedanke, den habe ich hier sehr häufig, weil es da so viele Menschen gibt, aus denen man wieder was machen könnte und die wollen vielleicht auch, nur die sind so jenseits von Gut und Böse schon, dass die nicht mehr in der Lage sind Hilfe zu erkennen und schon gar nicht Hilfe selbst in Anspruch zu nehmen oder zu erfragen. Und dieser Mann, von dem ich eben erzählt habe, ist vielleicht ein Beispiel dafür. Aber wie gesagt, das Recht auf individuelle Freiheit, auf Selbstbestimmung, das ist wichtig, ganz klar, aber das ist aus menschlicher Perspektive heraus manchmal eine Gratwanderung, wo mein Herz manchmal anders entscheiden würde, als es vielleicht der rationale Verstand tun muss.
Das war eine Geschichte, die war nicht ohne. Das geht mir auch nicht mehr aus dem Kopf, auch wenn ich sonst ganz gut Dinge hier lassen kann, wenn ich abends nach Hause fahre. Ich habe einen recht langen Arbeitsweg. Morgens eine knappe Stunde, nachmittags auch. Morgens ärgert es mich, das ist verlorene Zeit. Nachmittags genieße ich es, weil ich ins Auto steigen kann, ich mache die Tür zu, ich mach das Radio an, fahre los, ärgere mich über andere Autofahrer und das ist sehr gut zum Abstand gewinnen, zum Abstand halten und auch Dinge, die ich hier sehe und erlebe, hier zu lassen und nicht nach Hause mitzunehmen. Wäre vielleicht nicht so effizient, wenn ich nur 10 Minuten von hier weg wohnen würde, also da ist diese knappe Stunde immer sehr willkommen.
Mit mittlerweile 59 Jahren Lebens- und Berufserfahrung, hatte ich wirklich gedacht, dass ich jetzt mit beiden Beinen im Leben stehe, aber es gibt zwei, drei Mal im Monat hier Situationen, wo ich echt tief Luft holen muss und es in der Gesamtbetrachtung so ist, dass es eigentlich keinen Tag hier gibt, ohne das ich hier was lerne. Ich gehe eigentlich jeden Tag hier raus und habe für mich irgendwo was dazu gelernt, Erkenntnisse dazu gewonnen, kleine Dinge, große Dinge. Deswegen bin ich auch dieser Einrichtung dankbar aus meiner Perspektive, dass ich doch recht häufig der Lernende bin und natürlich auf der anderen Seite mich selbst einbringen kann mit meinem Wissen, meiner Lebenserfahrung und meiner Berufserfahrung, deswegen bin ich ja hier. Ich kriege aber auch so viel zurück an kleinen und großen Dingen und das ist auch eine Bereicherung für mein Leben. Und das ist schön. Das ist wirklich schön.