Die Stimmung ist im Windjammer einzigartig und der stets gut gelaunte Fred, ein wahres Kiezurgestein feiert mit über siebzig Lebensjahren selbst gern in seiner Kultkneipe.
»Zwischen ‘75 und den 90er Jahren hat sich auf Sankt Pauli sehr viel getan durch Schießereien, durch Bandenkriege, es war also nicht so schön – für einige war es ertragreich, für einige nicht so.«
A: Also mein Name ist der liebe Alfred, von früher noch so genannt. Ich bin hier im Windjammer, einer meiner Stammkneipen, die ich schon jahrelang kenne. Das steht auch draußen auf der Tür, wie alt sie schon ist. So und ihr wollt jetzt wissen, wie’s auf Sankt Pauli geht und wie man sich so fühlt. Ja, ich kann nur eins sagen: Ich bin ein ehemaliger Wiener, leider schon zu lange in Hamburg.
I: Was heißt denn hier leider?
A: Seit 1964 bin ich jetzt hier oben. Hab’ mich ein bisschen auf Sankt Pauli rumgetrieben. Hab’ die guten und die schlechten Zeiten mitgemacht. Die guten Zeiten waren früher zwischen ’64 und ’75.
I: Da war ich noch nicht da.
A: Ja, das ist richtig, da warst du noch nicht da. Ich hab’ mich dann auch ein bisschen zurückgezogen, weil dann kam die Weiße Tante auf Sankt Pauli. Das heißt, das war der Koks und der hat hier auf Pauli viel kaputt gemacht.
Ich bin dann in den 90er Jahren wieder zurück gekommen, nachdem ich wieder Hannik gesehen habe und wir haben uns getroffen. Du weißt das ja auch nicht, ’90 warst du ja auch noch nicht hier im Windjammer. Ne.
I: Doch, doch.
A: ’90 schon?
E: Naja, ich bin ’96 geboren.
A: Mit sieben Jahren haben wir dich kennen gelernt. Naja okay. Zwischen ‘75 und den 90er Jahren hat sich auf Sankt Pauli sehr viel getan, durch Schießereien, durch Bandenkriege. Es war also nicht so schön. Für einige war es ertragreich, für einige nicht so. Es ging natürlich auch viel um Zuhälterei, ist viel passiert hier. Es sind auch hier Morde passiert. Reichlich. Es sind einige Leute sehr schwer verletzt worden. Tot geschossen. Es war ein sehr bewegtes Leben hier auf Pauli. Es hat sich dann ’90 etwas gemildert, ist etwas ruhiger geworden. Es sind natürlich bestimmte länderspezifische Leute auf Sankt Pauli eingefallen – Albaner, Türken, Italiener, Polen, Russen auch teilweise. Die Österreicher sind leider nicht mehr so aufgetreten. Die hat’s ja leider 1965, ’66 leider vom Kiez vertrieben, da sind nur einige über geblieben, so wie ich zum Beispiel. Aber man musste sich damals mit einem gewissen Willi Schulz gut stellen und wenn das geklappt hat, dann konnte man da auch ganz gut leben von. Man musste ja nicht immer in der ersten Reihe stehen, dritte Reihe langte auch vollkommen.
Was sich jetzt geändert hat? Es ist schlechter geworden. Ich sag das wirklich so, wie es ist. Die alten Geschäfte oder die alten Lokalitäten sind alle gestorben, zum Beispiel Café Keese ist weg. Das war eben ein Lokal, da konnte man sich wirklich wohlfühlen, das hat auch viel Spaß gebracht. Auch früher die Barbarinabar, das Bayerische Zelt. Auch das Zillertal gab es in Hamburg, das war gleich neben der Davidwache. Das hat sich sehr viel geändert auf Pauli.
Wie gesagt, Pauli hat sich ein bisschen zum Nachteil gewandelt für das Rotlicht. Es sind dann mehr Diskotheken und Lokale aus dem Boden gestampft worden, die heute auch noch existieren teilweise. Jetzt in der Coronazeit, wenn man es so nimmt, geht alles langsam aber sicher den Bach runter.
Joar, Fußballclub haben wir ja, kennt ihr ja. Ne, da brauchen wir nicht viel drüber reden, zweite Liga, war alles gut. In der Gerhardstraße ist auch ein großer HSV Laden. Da solltet ihr auch wirklich mal vorbei gehen und die auch mal interviewen. Da wird man bestimmt einiges hören, denn das ist auch interessant da drüben. Die Herbertstraße ist leider dicht jetzt. Da ist nichts, was man da erfahren könnte oder auch mit den Damen sprechen könnte. Eure Studie ist in einer Zeit, da habt ihr schon viel zutun, das muss ich euch ganz ehrlich sagen, das wird nicht einfach werden. Und sonst? Ich als Österreicher sage immer: »Die schöne alte Zeit, die ist vorbei!«
Man hat hier die Häuser geschliffen, da tut sich seit vier Jahren nichts mehr. Die Tanke gab’s da, das war eine Kulttanke, in ganz Deutschland war die bekannt. Die hat man wegrationalisiert, sag ich mal so ganz kurz. Das ist ein Spekulationsgrundstück geworden. Ja gut, okay, überall wird spekuliert, auch auf Pauli wird spekuliert. Es gibt so eine kleine Ecke da unten, gegenüber von der Davidwache, die nennt man die Heiße Ecke. Das ist auch so ein Spekulationsgrundstück. Da sollte seit zig Jahren ein Hotel gebaut werden, es wird nichts, es passiert nichts.
I: Weil der Staat es behindert.
A: Ja, der Staat ist nicht behindert, der Staat …
I: Nein, ES behindert!
A: Haha ’tschuldige! Der kann sich gegen diese Machenschaften einfach nicht durchsetzen, das ist so. Wenn einer heute sich mit seinem Auto hier hinstellt, die Nummernschilder abschraubt, dann kriegt er so ein Zettelchen dran: In vier Wochen hat er das Auto abzuschleppen oder es wird abgeschleppt. Warum wird das nicht gleich am selben Tag abgeschleppt? Ohne Nummernschild auf der Straße, das ist eine Ordnungswidrigkeit. Wenn man irgendwo falsch parkt, dann ist das das gleiche. So wird der Staat verkackeiert und das meine ich wirklich! Und so werden die Leute hier auf dem Kiez, da drüben jetzt, werden auch verkackeiert. Die zahlen Steuern und kriegen nichts und dürfen nicht arbeiten und gar nichts. Und ich hoffe, es wird sich jetzt bald etwas ändern.
Nein, auf dem Kiez hat sich vieles, vieles verändert in dem Laufe der Jahre. Ab ’70 und ab ’80, ab ’90 … Ein Wandel ist überall mal, das sag ich ganz ehrlich. Ein Wandel tut sich überall mal. Bei euch hat’s auch einen Wandel gegeben hier.
I: Und wirklich, wenn du ü-40 bist, kannst du nirgendwo feiern gehen, da gibt’s ja nur überall Kinder, das ist ja kacke. Wirklich, es gibt kein Laden, wo du hingehen kannst.
E: Aber das ist ja genau der Grund, warum wir hier in der Kneipe seit ’71 alles so halten wollen, wie es ist, wie es damals war.
A: Ja, so einfach wird das nicht sein, mit ’71, so wie es damals war. Du hast heute andere Auflagen wie ’71. Das ist das Problem und das weiß deine Mutter genau. So einfach ist das nicht mehr heutzutage.
E: Aber es gibt ja trotzdem Ecken …
A: Ja, natürlich gibt es Ecken. Es gibt viele schöne Ecken hier auf Pauli. Man muss die nur finden.
I: Aber immer weniger.
A: Nur die Touristen, die werden nur zu den Hotspots geführt, nur Große Freiheit, Reeperbahn, Ende. Es gibt auch noch andere Straßen auf Pauli, aber das traut sich manchmal noch nicht einmal ein Hamburger rein, weil man Angst hat da Konflikte zu haben. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich geh auch nicht in alle Ecken. Wenn ich hier auf Pauli gehe, dann ist das der Hans-Albers-Platz, die Gerhardstraße, die Friedrichstraße, Davidstraße, Reeperbahn. Und dann vielleicht noch die Talstraße oder Große Freiheit, aber mehr … in dunklere Ecken gehe ich auch nicht. Und ich bin nicht ängstlich.
E: Aber da muss ich dir sagen, also ich habe keine Angst.
A: Joaaar! Pfff!
E: Also ich gehe in dunkle Ecken und manchmal ist es ist auch ganz lustig dort.
A: Joar, finde ich nicht so … lustig. Nein, aber wie gesagt, Pauli … Es ist schwer zu sagen, sich ein Urteil zu bilden, ob das besser wird, schlechter wird, es wandelt sich eben. Da müssen wir alle mit leben. Ich bin der Meinung, es war früher anders als heute, aber jede Zeit hat seinen Reiz gehabt, nur für einen etwas älteren Menschen ist der Reiz vom Kiez – sag ich mal knallhart – weg. Man sieht nur mehr junge Leute da, und ältere Leute, die kommen nur zum gucken. Die sind wirklich Touris, die kommen nur zum gucken, machen Führungen, da es ja schon 160 Führer gibt. Bitte jetzt nicht falsch verstehen! Das sind so Stadtführer, so Kiezführer, die wissen gar nicht, was auf Pauli los ist, aber die wissen ganz genau, was sie zu sagen haben, weil sie das auswendig lernen und das kann man alles im Internet nachlesen.
Was soll ich denn noch sagen? Mensch, ich rede schon ’ne Stunde.
E: Du, die richtigen Geschichten finden in den dunklen Ecken statt, oder nicht?
A: Jaa … gut, das ist nicht so gesagt. Hotspot war früher wie gesagt, das war die Zeit von 1970 an bis ’85, da war der Hotspot hier auf dem Kiez. Da hat man dann die Jungs gesehen hier, ob das der Schöne Klaus war oder alles, oder GMBH.
I: Ach, der Schöne Klaus …
A: Ja, das ist heute … Der schöne Klaus kommt heute wieder, angesehener Maler.
I: Ja ja …
A: Ja! Aber das darf man nicht alles unter einen Tisch kehren. Ja! Ich weiß, früher ist der Schöne Klaus in den Elbschlosskeller gegangen und hat sich da …
I: Ja, bei mir hat er Lokalverbot.
A: Ja, okay, gut.
I: So einen Mist lass’ ich nicht rein.
A: Ja, ich sag’s nur. Es gibt nicht mehr allzu viel von den hohen, von den hohen …
I: Was da schön an ihm? Der »Schöne« Klaus … das ist nur ein Mistkerl!
A: Ja, früher war er der Lamborghini Klaus …
I: Pff! Lamborghini!
A: Ja, nicht jeder konnte sich einen Lamborghini leisten! Ich auch nicht …
I: Er konnte es nicht! Die Weiber haben es gemacht! Nicht er!
A: Ja, gut. Okay. Aber er …
I: Er hat gar nichts gemacht!
A: Wie gesagt, ihr seid noch jung, ihr geht bestimmt noch in andere Gaststätten. Dann kann euch nur den Tipp geben: Geht noch in den Elbschlosskeller. Das würde ich euch auch empfehlen, da reinzugehen.
I: Ja und auf jeden Fall in die Ritze.
A: Die Ritze auf jeden Fall hier!
I: Mit der Ritze ist das ein bisschen schwierig.
A: Wenn ihr zur Ritze geht, dann …
I: Geht mal zu Kira! Ne, geht mal zu Ira, mit Ira könnt ihr reden!
A: Ira ist dann glaub ich nachher hier drüben.
E: Die hat auch einen Haufen Storys, die ist cool!
A: Wir haben sie schon gesucht, wir finden sie nicht. Du auch nicht, ne?
I: Ne, ich auch nicht.
E: Die hat gestern gesoffen oder so, keine Ahnung.
I: Das will doch keiner wissen!
A: Wir machen hier nicht weiter, sonst muss er das schneiden, das ist ja ein privates Gespräch, haha!
Nein, aber Pauli kann man wirklich kennen lernen, da muss man selber sich auf den Weg machen und alles erkunden. Wenn heute so ein Stadtführer losgeht, ich sag ganz ehrlich, wenn der oben am Millerntorstadion anfängt, was soll der noch erzählen. Das einzige, was der noch erzählt, das sind Anekdoten. »Es war einmal …«, so fängt jedes Märchen an und so endet auch jedes Märchen: »Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auch morgen noch.«
Aber es ist wirklich so, wenn Sie heute über’n Kiez gehen, müssen Sie die Augen offen halten und gucken, was da überhaupt noch ist! Wie gesagt, auf dem Kiez gibts nicht mehr das Imperial Kino, das ist jetzt so … wie sagt man noch … so ein Theater draus geworden. Das ist sehr interessant, da sollte jeder mal reingehen, der sich dafür interessiert. Ja und dann ist da nichts mehr. Café Keese ist weg, die Tanke ist weg, das Zillertal ist auch weg, das Bayerische Zelt, Hippodrom … es ist alles weg! Auf der Großen Freiheit gibt es noch ein paar Lokale. Also wenn ihr viele, viele Interviews noch haben wollt, also geschichtliches, dann müsst ihr zu Alfons hingehen und die haben ja damals noch die Beatles zu Gast gehabt. So lange ist die Kneipe schon offen, in den 60er Jahren haben die glaube ich schon die Kneipe gehabt. Da könnt ihr natürlich auch einiges erfahren und ich würde sagen, da sollte man … Es gibt viele Lokale, die man durchforsten könnte. Es gibt auch Lokale, die gar kein Schlüssel mehr haben, weil die 24 Stunden auf haben. Das gibt es auch, aber das sind wenige Lokale. Das ist wie gesagt Elbschlosskeller oder da drüben …
E: Ich wollte grade sagen, das gibt’s trotzdem noch. Es gibt trotzdem noch kleine Lokale, die urig geblieben sind, so wie es damals eröffnet wurde, die halt heute noch sind. Und vor allem die Gastwirte, die können auf jeden Fall Geschichten erzählen, die jetzt nicht auf offiziellem Wege hier erzählt werden können, aber einen Besuch ist es auf jeden Fall wert in die kleinen, urigen, ganz kleinen Kellerkneipen oder Sonstige reinzugehen.
A: Ja, das ist richtig. Aber man kann sich natürlich auch dann einer Stadtführung mal anschließen und da mal mitmachen. Viele verschiedene Stadtführungen, da gibt’s natürlich viele Märchengeschichten.
E: Die sind meistens nicht wahr. Viele wurden einfach mal erzählt und der Hintergrund wurde gar nicht richtig … recherchiert.
A: Ja, was wollt ihr noch gerne hören?
SPI: Könnt ihr vielleicht noch sagen, wie ihr euch als Lokalität mit Sankt Pauli identifiziert? Könnt ihr nochmal auf das Traditionstum eingehen, das ihr versucht hier beizubehalten? Und wenn ihr Sankt Pauli mit einem Wort beschreiben würdet, was wäre das?
A: Sankt Pauli ist geil! Das ist ein Wort. Sankt Pauli ist geil, immer noch! Ganz ehrlich, nur man muss sich auch wohlfühlen können auf Pauli.
Wie gesagt, ihr solltet euch noch mehrere Meinungen holen von Pauli oder noch mit mehr Leuten von Pauli sprechen.
I: Und wenn ihr geil drauf seid, dann gibts immer Schnaps aufs Haus!
A: Naja, ihr wisst ja, wo ihr seid. Ihr seid hier im Windjammer. Windjammer ist wirklich empfehlenswert, sonst wäre ich ja auch nicht jeden Freitag hier. Ich hab nämlich nur Freitag Ausgang. Nicht, dass ich jetzt eingeschlossen bin …
E: Mama, was ist für uns Sankt Pauli? Mit einem Wort?
A: Das ist eure Arbeitsstelle!
I: Ich liiiiebe Sankt Pauli, aber Sankt Pauli ist kaputt.
A: Naja, so direkt habe ich das jetzt nicht gesagt …
E: Ich dachte, jetzt sagt sie was cooles, haha.
A: Nein, Sankt Pauli ist nicht kaputt, aber Sankt Pauli ist …
I: Ich liebe Sankt Pauli, aber …
A: … wird kaputt gemacht! Das ist so, Sankt Pauli wird kaputt gemacht!
I: Ja, das ist so!
A: Teilweise von Politik, teilweise von … naja … Wie soll man das sagen? Wer hängt denn noch dazwischen? Das Publikum?
E: Alfred du weißt, ich darf mich politisch allgemein nicht äußern!
I: Also Sankt Pauli hat mich erzogen und Sankt Pauli war damals Sankt Pauli und das war geil. Und heute ist das nicht mehr geil.
A: Naja, gut …
I: Es ist lustig, aber nicht mehr geil.
E: Aber Sankt Pauli ist trotzdem noch Kultur.
A: Aber Sankt Pauli ist weltweit einmalig.
I: Das sowieso!
A: Aber jede Stadt …
I: Gehört auch zu Dänemark!
A: Jede Stadt, ob das jetzt Düsseldorf ist oder sonst was, ist auch auf sein Kiezviertel stolz. Und Sankt Paulianer sind ein stolzes Volk. Das muss man ganz ehrlich sagen, die sind stolz auf ihr Viertel und sie sind stolz, was sie erreicht haben, aber sie werden eben …
I: Und ich als Polin bleib Sankt Paulianerin und ich behalte das Geschäft, so wie es früher war.
A: Darauf trinke ich einen mit dir!
I: Und darauf trinke ich auch! Dann prost! Habt ihr schon alle?
A: Die sind schneller, als wir gedacht haben!
I: Man merkt, dass wir schon alt sind.
A: Du bist doch nicht alt! Ich bin doppelt so alt wie du!
I: Nicht dreifach?
A: Ja, so wie ich aussehe, ja.
I: Klar, sicher doch!
E: Deine Mutter ist bösartig, die ist böse!
I: Ja, immer!
A: Böse … Ja, aber wie gesagt. Geht in alte Kneipen rein, das kann ich euch nur empfehlen. Es muss nicht unbedingt sein, dass ihr in die Olivia Jones Bar reingeht …
I: Geht mal in die Monika Bar! Monika Bar ist eine alte Travestiebar, aber die sind so geil drauf! Die Bedienung, die hinterm Tresen steht, das ist eine ältere Dame, die ist alles, was Sankt Pauli ist. Geht mal dahin, die ist wirklich geil. Große Freiheit.
E: Ich glaube, du brauchst keine Angst haben in diese Klischee Kneipen zu gehen als Kiezbesucher, weil im Grunde ist grade dort am witzigsten.
I: Ist echt so!
A: Es ist nicht immer so! Nicht immer so! Früher, da waren die Diskotheken noch geöffnet, jetzt ja Gott sei Dank nicht, sag ich mal jetzt für mich. In meinem Alter, wenn ich da vor der Tür stand, wurde nur gesagt: »Junger Mann, das Altersheim ist eine Tür weiter.« So war das. Aber als ich mit meiner Tochter auf’m Kiez war, da war die grade 18, da durfte ich dann auch rein, nachdem die alle drin waren. Weil dann ist eine rausgekommen von dieser Horde Damen und hat gesagt: »Ja, das ist der, der für uns bezahlt.« Und dann war ich drin. Aber glaubt mir, nach fünf Minuten hatte ich solche Ohren. Nicht auszuhalten. Da habe ich lieber ’nen 50er auf den Tisch gelegt, für das, was die da getrunken haben, und dann war ich weg.
Nein, aber Pauli hat sich in den Zeiten wirklich unheimlich gewandelt. Unheimlich gewandelt. Und ich sage zum negativen. Wirklich zum negativen. Gute Lokale sind dicht gemacht worden.
I: Und die gehen weiter weg. Und wir halten uns alle an den Grenzen.
E: Trotz allem gibt es für jede Altersgruppe hier was auf dem Kiez.
I: Ja klar, bei uns sowieso. Die sind ja fast ausgestorben, die alten Läden.
A: Also für Leute über 70 wird’s schon kritisch.
I: Es wird langsam nur Schickimicki hier gemacht und sonst nichts mehr. Und nur so Touristen-Abzocke. So richtige alte Kneipen, die gibt’s fast gar nicht mehr.
A: Ja, ich kenne fünf.
I: Ne, wo denn sonst?
A: Die Ritze, den Windjammer, The Other Place. Dann gibts noch die … wie heißt die in der Talstraße, da unten? Fällt mir jetzt nicht ein, egal wie. Und der Reitclub noch.
I: Sonst gibt’s ja … wo willst du denn sonst noch – ja Scharfe Ecke noch!
A: Ja, gut, ja.
E: Nachtschicht könnt ihr auch mal anfragen. Das ist eine Kneipe wie hier ungefähr, aber das ist alles pink. Alles, was an den Wänden hängt ist pink. Alles, was pink ist, liebt diese Frau hinter der Bar und zieht das magnetisch an. Also die Nachtschicht ist einfach nur pink.
I: Also bei uns ist ja alles mit …
E: Aber auch verrückt und viele verrückte Menschen immer da und das ist immer super witzig.
I: Ja, bei uns ist vieles, nicht alles, aber sehr viel mit Bundeswehr verbunden. Hier kommen sehr viele Studenten von der Bundeswehr hin.
E: Allgemein sehr viele Soldaten.
I: Sieht man ja, die ganze Decke ist vollgeschrieben. Die ganzen Wände sind vollgeklebt. Aber auch von Polizei und Zoll.
A: Ja, weil sie sicher Razzia gemacht haben!
[Alle lachen]
I: Nein, haben sie nicht! Hallo?!
A: Weißt du, was mich hier an diesem Laden so hält?
I: Ich natürlich!
A: Ja, selbstverständlich. Nicht nur du sondern auch dein Fred, dem geht’s ja nicht so gut im Moment …
I: Ja, aber es wird wieder.
A: Ich hoffe es! Ein alter Kamerad, es waren schöne Zeiten mit ihm!
I: Alte Schule, das gibts heute nicht mehr.
A: Höflich, freundlich, nett. Sehr nett!
E: So lange er es will!
[Alle lachen]
A: Aber wie gesagt, es gibt nette Kneipen. Jetzt ist natürlich keine Musik hier, jetzt ist gar nichts. Jetzt ist natürlich hier drin trostlos. Ihr hört mir zu, ihr hängt an meinen Lippen, ich werd’ verrückt – langsam. Bei den Damen kann ich das verstehen, aber bei den Herren?! Aber ihr habt euch da wirklich ein schönes Thema gesetzt, das wird ne richtige Arbeit werden. Nun gut, aber wie gesagt, geht einfach rüber ins Other Place.
I: Und wenn die jungen Leute uns nicht unterstützen, dann wird Sankt Pauli nur noch schlecht sein.
A: Geht einfach darüber ins Other Place, da ist gleich eine Geburtstagsfeier da drüben.
I: Ja, da sind wir alle dabei!
E: Ja, am besten geht ihr mit dem Mikrofon zu den ganzen betrunkenen hin. Alfred könnt ihr auch in ’ner Stunde nochmal interviewen, dann erzählt er noch viel schlimmere Dinge.
I: Das wäre sehr geil!
A: Ich werde keine Geheimnisse … Es gibt auf dem Kiez ein Sprichwort, das heißt »Reißverschluss zwischen den Lippen«, weil was auf dem Kiez passiert, muss auf dem Kiez bleiben.
I: Eine Runde Schnaps geb ich noch aus!
A: Für wen? Für mich?
I: Ne, für die Gruppe hier.
A: Ab sofort bin ich bei euch in der Gruppe!
[Alle lachen]
A: Also wenn ich mit diesen drei Damen da drüben aufkreuze, dann habe ich meinen Kampftiger aber sofort am Hals.
I: Das ist nicht schlimm, das kannst du schon ab.
A: Bist du sicher?
I: Ja, du bist pervers, ich kenn’ dich.
A: Hallooo??!
E: Da ist Gisa und Gisa weiß, dass es für sie keine Konkurrenz gibt. Ganz einfach.
A: Für Gisela gibt’s keine Konkurrenz.
SPI: Hast du eine Story oder eine Anekdote, wo du sagen würdest, das ist für mich der Kiez?
E: Das kann meine Mutter erzählen. Mama, du hast doch bestimmt was!
SPI: Oder eine schöne Geschichte, die hier in dem Lokal passiert ist?
I: Früher war das hier ein Friseursalon. Vor dem Windjammer war das hier früher ein Friseursalon. Und mein Mann hat noch einen anderen Laden gehabt auf dem Hans-Albers-Platz. Der Friseur hat da immer Champagner ausgeschenkt, um die Mädchen zu verwöhnen und hat dann immer eine dicke Rechnung gehabt. Und die Geschichte ist, dass die Rechnung immer offen blieb und er die nicht bezahlen konnte. Dann kam mein Mann hier rein und sagte: »Entweder machst du jetzt Geld oder ich brech’ dir die Finger!« Und er hat die Finger gegeben, zum brechen.
»Brich mir die Finger!«
Und als die Finger gebrochen waren, konnte er nicht mehr weiter arbeiten, also hat er den Laden an meinen Mann übergeben und so ist der Windjammer entstanden.
E: Das ist die nette Version der ganzen Geschichte.
I: Das ist die nette Version, ja, dass der Friseur nicht mehr arbeiten konnte, weil die Finger dann weg waren, also nicht weg waren, aber gebrochen waren.
E: Die Finger waren ein bisschen behindert.
I: Ja, die waren ein bisschen behindert.
A: Nicht mehr! Nicht mehr, bitte! Ich denke nur an einige Silvesterfeiern hier.
I: Ja, wir feiern sehr gerne hier und feiern ohne Ende und das … ja … ist gut so.
A: Hmm. Dann feiert immer nur einer weiter und das bist du!
E: Ja und wie gesagt, die richtigen Geschichten entstehen dann bei ein, zwei Bier, die dann meistens zu viel getrunken wurden.
I: Ja, oder ein, zwei Glas Schampus zu viel.
E: Ja, da wird die ganze Wahrheit erzählt.
A: Seit wann hast du den guten wieder da?
I: Schampus ist immer dabei. Ohne Schampus kann ich nicht existieren. Ich brauch’ Benzin, genau wie mein Auto.
E: Nein, wir auf dem Kiez sind keine Alkoholiker!
I: Da lacht sie sich kaputt, das ist ja herrlich!
Ja, das ist ja so! Brauchst du kein Benzin? Brauchst du kein Benzin?
SPI: Doch, doch!
I: Ja, wenn du Frühstück isst, trinke ich nur Wasser.
A: Ja, weil du das nur verdünnst, was du schon drin hast, ne?
I: Nein, ich brauche richtiges Benzin und nicht so ein …
A: Ja ja, du brauchst richtiges Benzin.