Der Plattenladen in Sankt Pauli. Seit 7 Jahren dort gelegen, wo sich Schanzen- und Karolinenviertel die tätowierte Hand reichen. Und innen? Scheint das Ziel, die Waschbeton-Wände unter Kultur und Dönekens verschwinden zu lassen, gelungen.
»Und Sankt Pauli ist natürlich auch cool, also hier kann man mit gefärbten Fußnägeln und so durch die Gegend laufen, ohne doof angeguckt zu werden, also manchmal vergisst man fast, in was für einem privilegierten Ort man in Sankt Pauli dann auch wohnt, was so ein Sicherheitsgefühl auf einer sozialen Ebene angeht.«
Hi, ich bin Jakob von der Hanseplatte. Wir sind ein Plattenladen an der Schwelle zwischen Sankt Pauli und Karoviertel, uns gibt es seit 2006 und wir sind mittlerweile Corona bedingt nur noch zwei Personen, die hier arbeiten. Meine Kollegen Sina, die grad’ im Urlaub ist und ich. Und der Gag unseres Ladens ist, dass wir ein Plattenladen sind, der versucht sich nur mit Musikszene von Hamburg sich über Wasser zu halten. Das bedeutet, dass wir alle möglichen Künstlerinnen und Künstler und Labels aus Hamburg hier vertreten haben und damit eben seit 14 Jahren mehr schlecht als recht irgendwie durchkommen. Und vor Corona waren wir auch öfters mal ein kleiner Club, also wir haben hier Konzerte, Veranstaltungen, Lesungen gemacht, was jetzt natürlich erstmal ausgesetzt ist. Also wir machen das nicht, in einer Zeit, wo wir auch von Platten und Büchern überleben können, dann sollen die Clubs das machen. Aber das ist eigentlich auch Teil des Konzepts Hanseplatte, was uns dazu bringt, das wird nicht ‘nen Einzelhandel im Sinne von dem Einzelhandel sind, sondern irgendwie mehr Begegnungsstätte, Kulturort und so.
Ja, was ist die Geschichte des Ortes? An diesem Ort, ich erinnere mich gar nicht so richtig … Ich selber bin erst 2007 dazugekommen. Seit 2006 gibt’s den Laden und auch erst dieses Gebäude und vorher war glaube ich einfach so eine Hundekackewiese vorm Knust, wo man quasi vorm Konzert war und getrunken hat und gewartet hat. Und dieses Gebäude wurde halt gebaut von der Stadt für neue Unternehmen in der Musikindustrie, auch eben die gleiche Behauptung: Hamburg ist Musikstandort und deswegen kann man hier Hamburger Musikfirmen reinsetzen. Und wir sind eben seitdem ich hier, weil wir, glaube ich, auch ein gutes Projekt sind, was hier entstanden ist, und funktionieren und eben auch weiterhin immer für die Szene, für die „Hamburger Musikszene“ in Anführungszeichen, ‘ne ganz okaye Arbeit machen, glaube ich. Interessant ist, dass wir so seit Anfang an auch immer von Künstlerinnen und Künstlern, die zum Beispiel Debüt-Demos pipapo auf Kassette oder selbst gebrannter CD verkauft haben und auch teilweise sehr gut verkauft haben und auch Kontakte hergestellt haben. Ich erinnere mich, dass hier auch Platten-Deals in dem Laden über die Bühne gegangen sind oder eingetütet wurden. Und da waren wir schon auch immer ein lebendiger Teil. Natürlich sind jetzt keine verrauchte Kneipe und keinen geiler Punk Schuppen, aber wir sind irgendwie – also wir hatten hier geile Punk Konzerte und hier wurde auch schon mal heimlich geraucht, aber wir sind eben auch einen Laden der zum Beispiel Merchandise anbietet, T-Shirts von Bands und Clubs und auch so ein bisschen maritime Moden, das haben wir eingeführt, um zu überleben, weil die Magen bei Tonträgern extrem schlecht sind und zum Beispiel bei einer Mütze oder einem T-Shirt verdient man deutlich mehr Geld. Und das ist sonst zu hart, also würden wir nur von Platten leben müssen, würde es nicht gehen. Es gibt so Plattenläden wie zum Beispiel Zados und die Plattenrille in Hamburg, die leben zum Beispiel auch von second-and Platten, die kaufen so Sammlungen an und die haben dann einfach eine bessere Gewinnmarge bei solchen Platten. Das können wir nicht, machen wir nicht, also nur ganz, ganz, ganz selten und deshalb brauchen wir eben noch Dinge, die über die Schallplatten hinausgehen.
Inwiefern identifiziere ich mich mit Sankt Pauli? Also, ich selber komme gar nicht aus Hamburg, aber eigentlich sind ja eh viele Leute aus Hamburg nicht aus Hamburg oder in Großstädten ja generell. Ich hab’ mir die Frage tatsächlich noch nie gestellt, aber es ist so, ich habe zum Beispiel persönlich jetzt auch meinen Proberaum in der Wohlwillstraße, von meiner Band und lebe natürlich hier, esse hier, gehe hier normalerweise aus, wenn ich gerade Corona bedingt die Großstadt zur Kleinstadt geworden ist. Also ich identifiziere mich nicht so damit, also mit Fußball zum Beispiel gar nicht, aber irgendwie ist es mittlerweile schon meine Hood. Also, wenn ich jetzt ‘ne Straße entlang gehe, dann muss ich schon öfters mal grüßen, ich glaub’, ich bin da mittlerweile reingewachsen. Und Sankt Pauli ist natürlich auch cool, also hier kann man mit gefärbten Fußnägeln und so durch die Gegend laufen, ohne doof angeguckt zu werden. Also manchmal vergisst man fast, in was für einem privilegierten Ort man in Sankt Pauli dann auch wohnt, was so ein Sicherheitsgefühl auf einer sozialen Ebene vielleicht angeht. Also natürlich gibt’s hier auch scheiß Leute und Gewalt und so, aber insgesamt ist es glaube ich auch ‘nen guter Stadtteil, also wo vielleicht Orte, wie wir sogar ein bisschen – aber wahrscheinlich gibt’s noch weniger gentrifizierende Orte als uns – auch ein Indikator dafür sind, dass man sich hier wohlfühlen kann. Und darum wohnen auch immer noch gute Leute hier.
Also Hanseplatte ist jetzt nicht unbedingt in dem Sinne Sankt Pauli in erster Line, würde ich sagen, sondern wir sind echt „Außensatellit“, zum Beispiel beim Reeperbahn Festival sind wir so ein Außenposten, da sind wir so der letzte Club, der noch mit macht, aber es ist ja doch, wenn man so einen Spaziergang durch Sankt Pauli macht, oder da bei der Wohlwillstraße und hier die Feldstraße hoch läuft, am Sankt Pauli Stadion, dann sind wir irgendwie auch noch auf eine Art mit drin. Und, ja es ist zum Beispiel oft so, dass Konzerte hier stattfinden, stattfanden und die Acts dann einfach so vom Proberaum ‘rüber gelatscht kamen und ihre Gitarre in der Hand hatten einfach, also wir sind einfach mitten drin. Ich kenn’ das selber, ich habe mal im Molotow, oder mehrmals im Molotow Konzerte gespielt und dann bin ich auch einfach vom Proberaum da kurz ‘rüber gelatscht und das ist natürlich total super, weil es dann auch auf ‘ne Art ein sehr weltoffener Club ist und man latscht da dann einfach so gemütlich aus dem Proberaum rüber und dann sind da irgendwelche anderen großen Bands und man ist aber einfach nur ‘rüber gelatscht, das ist schon auch etwas, was Hamburg auf Art ausmacht, dieses dörfliche, also dass es so zentriert ist. Also in Berlin sind es immer 30 Minuten, egal wohin und in Hamburg ist es ist er so 10 Minuten 15 Minuten, egal wohin. Das würde ich sagen, dass es was von Sankt Pauli auch angenehm macht. Man düst so mit dem Fahrrad irgendwo kurz hin.
Also ich kenn’ den Stadtteil ja noch nicht so lange, ich kenn’ den jetzt seit 20 Jahren vielleicht und lebe selber seit zehn Jahren hier und ich finde es schon unangenehm, wie sich – Marktstraße weniger – aber zum Beispiel Schulterblatt verändert. Also Marktstraße ist noch so okay, da changen die Orte auch, aber da sind auch immer mal wieder nette Läden dabei. Schulterblatt finde ich zum Beispiel Horror. Also das ist ‘ne Straße, als ich vor 20 Jahren das erste Mal hier war, zu Zados gefahren und so, fand ich das super aufregend und geil, ich weiß nicht, ob dass an mir lag, aber jetzt, wenn ich da lang gehe, denk’ ich einfach nur so: »Fuck you!« Also ich find’s mega bescheuerte Läden, also Weekday oder sowas fällt mir da ein. Find ich ‘nen ganz höllischen Ort und ich denk’ dann auch jedes Mal, es sind zehn neue Läden vielleicht, weiß ja nicht, ob es stimmt oder nicht, ob ich die verdrängt habe. In Richtung Wohlwillstraße zum Beispiel fühle ich mich sehr wohl noch, ich mag das dort zum Beispiel beim Suicycle und Kandie Shop und so, das sind gute Orte und dann eben auch ‘rüber latschen bis zum Pudel, das ist schön.
Die Veränderung merkt man anhand von der Eventisierung von Hamburg, finde ich. Dieses immer mehr Veranstaltungen, die so scheiß Publikum anziehen, also so Konsumierpublikum, die einfach beballert, bespielt werden wollen und gar nicht Teil der Orte sein wollen so richtig, sondern so bedient werden wollen. Ich glaub’ das ist etwas, was hier viel kaputt macht, ich glaub’ so die ganze Reeperbahn und so die suckt auch mittlerweile richtig an vielen Stellen, die mal schöner waren, also auch scheiße, aber anders scheiße quasi mal waren. Ansonsten ja immer ganz normale Verwertungslogik, die sich dann ja immer weiter frisst und immer in kleinere Kapillaren sich vorfrist, würde ich sagen passiert hier auch. Es gibt auch Leute, die zu Recht hier abhauen, zu freieren Orten, die nicht so durchverwertet sind, also es wird ja auch alles teurer und länger und glatter und so. Und wir selber, also Hanseplatte, würde ich sagen, ist schon auch irgendwie ein gentrifizierender Laden und man könnte uns auch quasi Lokalpatriotismus vorwerfen, doch da bin ich anderer Meinung, weil wir schon cool sind glaube ich, also wir geben uns Mühe, für alle da zu sein, wir waren nie so ein snobistischer Plattenladen, sondern bei uns konnten auch die Omi und ein junger Junge und wer auch immer reinkommen und doofe Fragen stellen. Wir sind immer höflich geblieben und hatten Bock auf Austausch und haben irgendwie schon immer darauf geachtet, dass die Bühne nicht nur von Typen bespielt wird und das eben genau nicht Lokalpatrioten sind, sondern wir finden Hamburg ganz normal auch total scheiße auf vielen Ebenen, aber es gibt eben Dinge, gerade wenn man versucht die Hamburger Musikszene abzubilden, und dann gehören da ja viele Künstlerinnen und Künstler dazu, dann ist man ja unausweichlich mit Leuten im Zusammenhang und hat mit denen zu tun, die auch anders auf die Welt schauen, als jetzt irgendetwas, was lokalpatriotisch oder so zu sehen ist und da sind wir alle glaube ich Teil von. Also wir sind selber alle Musikerinnen und Musiker, die hier arbeiten, immer gewesen und DJs und so und deswegen würde ich quasi diesen Vorwurf, den ich manchmal höre, auch immer zurückweisen sagen, kann ich nachvollziehen, dass man das bei uns denkt und vielleicht sehen wir auch manchmal aus, wie ein Touri-Shop, aber wenn man ein bisschen bei uns hinschaut, was es so bei uns gibt, wie wir drauf sind, welche Bücher und Platten wir pushen und was wir nicht tun, dann würde ich sagen sind wir eigentlich mindestens mit einem Bein auch ein guter Teil von Sankt Pauli, wenngleich auch dieses ganze Projekt Karo-Star, da dieses Haus natürlich auch jetzt Bürogebäude mitten in der Stadt sind, da kann man ja auch dran rumkritisieren gerne.
Ja, witzig ist, dass ich zum Beispiel Fußball sehr, sehr verachte, aber Sankt Pauli, den Verein tatsächlich relativ sympathisch finde. Das finde ich tatsächlich ganz angenehm, weil das findet ja oft hier statt und wenn ich hier arbeite und ein Sankt Pauli spielt, höre ich das Stadion ja auch und auch beim Knust, bei unseren Nachbarn, werden ja auch immer Spiele übertragen und zum Beispiel das sind so Fußballfans, mit denen ich mich safe fühle oder so. Das finde ich einen angenehmen Teil, also gehört ja auch zum Straßenbild immer, diese Sankt Pauli T-Shirts und Hoodies und so. Das stört mich zum Glück nicht – falsche Antwort auf die Frage. Ja die ganz normale, weltweite Entwicklung wie Städte sich entwickeln, stört mich natürlich an Sankt Pauli. An Sankt Pauli speziell ansonsten … das Auto Kino find’ ich beknackt.
Wenn du Sankt Pauli mit einem Wort beschreiben müsstest, welches wäre das?
Widersprüchlich.